Textatelier
BLOG vom: 27.04.2005

Willkommensgruss an die knackige Herzogin Elsa

Autor: Walter Hess

Ein uns bestens bekannter Bauer mit jahrzehntelanger Erfahrung, Albert Nadler aus Biberstein (Schweiz), empfahl uns die Pflanzung eines Pastorenbirnbaums und lieferte uns im vergangenen Spätherbst 2004 gleich 3 Musterfrüchte ins Haus. Die flaschenförmigen und kehlbauchigen Birnen, grüngelblich und mit braunen Flecken auf der rauen Haut, sprachen mich spontan an.

Sie seien etwas herb, bitter, hatte Albert vorbeugend gesagt, man sollte sie vielleicht schälen. Doch habe ich mich immer standhaft geweigert, Äpfel, Birnen und dergleichen Früchte zu schälen, weil die Haut wertvolle Inhaltsstoffe aufweist und das Beste oft gleich unter dieser schützenden Aussenhülle ist, die natürlich nicht durch Spritzmittel vergiftet sein darf. Soweit es geht – so habe ich einmal vom naturheilkundigen Alfred Vogel (1902−1996) gelernt –, sollte man immer alles von den Früchten essen; selbstverständlich stösst man dabei etwa bei Zwetschgen- und Pfirsichsteinen an gewisse Grenzen. Apfel- und Birnenmus gibts bei mir ausschliesslich von ungeschälten und ungespritzten Biofrüchten. Auch das Kerngehäuse gehört dazu. Und alle loben, wie kräftig das schmecke. So ist es auch.

Die Pastorenbirne, die als Sämling um 1760 von einem Pfarrer (Pastor) namens Clion zufällig gefunden worden sein soll, war tatsächlich herb, robust, etwas adstringierend (zusammenziehend), voller Kraft und Saft, genau wie ich es schätze. Meine Frau Eva probierte auch eine von diesen saftigen, währschaften Früchten und sang weit weniger Lobeshymnen. Ihr Lob war eher von der spärlichen Sorte. Eva bat mich, ihr meine Literatur über alte Birnensorten herauszugeben.

Mein besonderes Prunkstück ist das 1948 erschienene Büchlein „Birnensorten der Schweiz“, das seinerzeit von Hans Kessler, damaliger Adjunkt der Versuchsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau in Wädenswil am Zürichsee, verfasst worden war. Eva recherchierte inständig Abende lang. Und dann, nach der Phase des Vorsortierens, konnte ich zwischen der Schmelzenden von Thirrot und der Herzogin Elsa (Duchesse Elsa) wählen – die Pastorenbirne stand nicht mehr zur Wahl. Ich wählte die Schmelzende von Thirrot, weil es hiess, sie habe ein „angenehm stark parfümiertes Gewürz“ und sei wüchsig und fruchtbar. Die Schorfanfälligkeit, auf die ebenfalls hingewiesen wurde, störte mich überhaupt nicht. Ich schätze sogar Früchte mit Schorf, weil sie den Charakter des Urtümlichen (Ungespritzten) haben. Eva sagte, sie habe ebenfalls auf diese Birne getippt, und die eheliche Harmonie blieb erhalten, genau wie es sein soll.

Anderntags fuhr sie zur Obstbaumschule von Fritz Walti in CH-5724 Dürrenäsch los, die mir aus ökologischen Kreisen vor einiger Zeit empfohlen worden war. Ich hatte mir sagen lassen, der Baumschulist Fritz Walti sei der Sohn des Bauerndichters Friedrich Walti, dessen Büchlein „Uf em Stallbänkli“ ich 1961 als eine meiner ersten Literaturkritiken zur vollen Zufriedenheit des Autors und der Leserschaft des „Wynentaler Blatts“ gewürdigt hatte. Friedrich Waltis Werk – Gedanken, die zum Freundlichen und Schönen hinleiten sollten – atmet noch etwas vom Geist Gotthelfs, aber auf Aargauer Verhältnisse übertragen. Und welcher Kanton schätzt es nicht, seinen eigenen Gotthelf mit dem speziellen Lokalkolorit in seinen Grenzen zu wissen! Er empfand unsere Sprache schon damals als „Ghüehner“ (so etwas wie ein Durcheinandergegacker auf dem Hühnerhof), sah die Mundart in Pension gehen – dafür werde ein „sinnloses Chuderwälsch adaptiert“.

Im Umfeld von so viel Kulturbewusstsein müssen gute, bodenständige Bäume heranwachsen. Jedenfalls kam Eva, entgegen unserer Abmachung, mit der „Herzogin Elsa“ heim, ein schönes Bäumchen mit kräftiger Wurzel, das gerade die ersten Blätter trieb und sich anschickte, seine Knospen zu öffnen. Sie lobte die Betreuung und Beratung in dieser Baumschule von Walti jun. Er habe ihr zu dieser Sorte geraten, weil die Birnen etwas länger haltbar seien als jene, die aus der Baumschule der Gebrüder Thirrot in Moulin à Vent in den französischen Ardennen hervorgegangen sind. Das Fleisch dieser Herzogin wurde von Kessler als „weiss, fest, knackend, saftig, fein, angenehm“ beschrieben, und sogar „Zucker und Gewürz“ sollen „vorhanden“ sein. Das Bäumchen, trotz adligen Geblüts, sei nicht sehr anspruchsvoll: „empfehlenswerte Sorte für den Hausgarten“ – eine Züchtung des Hofgärtners Müller vom Schloss Wilhelmina bei Cannstatt (Württemberg), 1885 durch das Institut in Reutlingen eingeführt.

Ich hatte die Pflanzgrube noch im Herbst 2004 vorbereitet und musste dabei das dicke Wurzelholz eines wilden Kirschbaums beseitigen, bei welchem Platzbedarf, Schattenwurf und Ertrag in einem Missverhältnis gestanden hatten. Vielleicht hat die Natur, insbesondere die Vogelwelt, das etwas anders gesehen. Aber man darf einen Baum fällen, wenn man dafür mindestens einen anderen pflanzt. Und ich habe mich beim alten Kirschbaum entschuldigt und halte sein rötliches Holz in Ehren.

Eva liess es sich nicht nehmen, den erfahrenen Landwirt Nadler zum Akt des Pflanzens der Herzogin Elsa beizuziehen. Damit sollte verhindert werden, dass dieser adligen Dame im letzten Moment durch ein Ungeschick ein dauerhafter Schaden zugefügt würde, was am Ende den Ertrag schmälern könnte. Albert schnitt die Wurzelspitzen sorgfältig an, bereitete eine Erdmischung wie ein professioneller Kuchenbäcker den Teig, setzte das Bäumchen neben einem wetterfesten Pfahl nicht zu tief und nicht zu hoch und wässerte mit Regenwasser kräftig ein, nicht ohne uns zu ermahnen, mit Dünger sehr zurückhaltend zu sein.

Der Herzogin schien das alles zu gefallen. Sie hat ihren definitiven Platz gefunden. Wir hiessen sie willkommen. Ihre Früchte, auf die wir jetzt warten, haben, wie eine Zeichnung im erwähnten Büchlein zeigt, eine typische Birnenform und tragen den Bauch unter der Mitte. Die Herzogin hält also nichts von modischen Schlankheitsidealen, stammt aus vernünftigeren Zeiten.

Ich bin der Auffassung, dass sie sehr gut zu mir passt.

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