Textatelier
BLOG vom: 16.05.2016

Die schönen Jahre in der Schweiz

Autorin: Susan Casadei


Freddy hat sein erstes Studium an der ETH Zürich absolviert und dort zusammen mit einem Freund in einer Zweier-WG gewohnt. "Chez Hedwig" haben wir diese Wohnung genannt, denn die verstorbene Besitzerin hiess Hedwig und hat in dieser Wohnung all ihr Hab und Gut hinterlassen. Ihr Bruder, der Mit-Hausbesitzer, hat sie so wie sie war an Studenten vermietet. In Zürich war es natürlich, wie in allen Universitäts-Städten, sehr schwierig an günstigen Wohnraum zu kommen. Freddy und Kurt waren deshalb vom Glück begünstigt, nur zu Zweit in einer recht komfortablen Wohnung mit Küche hausen zu dürfen. Sogar für die jeweiligen Freundinnen war noch Platz und die beiden Männer übten sich fleissig im Kochen. Nur mit dem Putzen hatten sie es nicht gar so, da habe ich an den vielen Wochenenden, die ich von München aus nach Zürich kam, des öfteren den Staubsauger geschwungen. Insgesamt fast 4 Jahre führten wir eine Fernbeziehung und ich zögerte doch ziemlich lange, dann endlich nach einigen kleinen Umwegen den Umzug zu wagen.

1966 war ich dann so weit und war damals schon fast 27 Jahre alt. Ich hatte bis dahin immer noch bei Muttern gewohnt. Heute ganz unvorstellbar, aber damals praktisch und bezahlbar, denn mein Anfangslohn nach der Schule betrug ganze DM 250.-. Als ich in der Schweiz meine erste Stelle antrat war ein Gehalt von Fr. 800.- für mich schon ein lukrativer Beginn. Insbesondere, weil Freddys Mutter mir eine ganz unglaublich schöne grosse Dachwohnung mit Blick über die Dächer von Basel, für einen Mietzins von Fr. 350.- besorgen konnte. Die Ablösung für diese Superwohnung, von Fr. 8'000.- für eine sehr grosszügige Teil-Möblierung, musste mir damals mein Bruder leihen, weil ich selber nichts gespart hatte. Wie er das damals fertig gebracht hat muss ich ihn gelegentlich mal fragen, denn er war 7 Jahre jünger, hatte eine kaufmännische Lehre gemacht und sein Lohn bei Tengelmann war sicher auch nicht gerade fürstlich. Ich war damals wirklich ein Bruder Leichtfuss, das nicht vorhandene Geld sass mir sehr locker, weil ich ja Kost und Logis bei unserer gutmütigen Mutti bekam. Heute würde ich mich dafür eigentlich ein bisschen schämen müssen, aber dafür ist es nun doch reichlich spät.

Ich war in unserer Familie immer so ein bisschen das "schwarze Schaf", weil ich gerne anders sein wollte als alle anderen und weil das nicht immer in das bürgerliche Gefüge meiner Familie passte. Meine Schwester war die Liebe, Ordentliche, Verantwortungsbewusste und sie wurde mir immer als leuchtendes Beispiel vorgeführt. Das hat leider dazu beigetragen, dass mein Selbstbewusstsein nicht gerade gross war. Ich musste mich produzieren und aufplustern, damit ich auch etwas Beachtung fand. Das hat sicher auch mit dazu beigetragen, dass ich mir phantastische Geschichten ausdenken musste, um mein angeschlagenes Selbstbewusstsein aufzupolieren. Deshalb war es natürlich nicht besonders gut, dass ich so lange zuhause gewohnt habe. Nun war es denn auch an der Zeit, mich abzunabeln und auf eigenen Beinen zu stehen. Es hat lange gedauert, bis Freddy mir ein anderes Bild von mir beibringen konnte.

Nun beginnen also meine Jahre in der Schweiz, mein Erwachsenenleben auf eigenen Füssen und weg von daheim, von Eltern und Geschwistern. Eine Zeit des Aufbaus und der Beginn einer andauernden Liebe und Ehe, wofür ich noch heute sehr dankbar bin.

Ich hatte mich natürlich schon vorher nach einer Stelle umgesehen. Da ich Bücher liebe und durch meine Arbeit in München gute Kontakte hatte, fand ich eine Stelle bei einem bekannten Clichée-Hersteller, der Kunstbücher aller Art vertrieb. Auch meine Französischkenntnisse konnte ich auffrischen und verwenden. Allerdings musste ich lernen, dass in der Schweiz ein ganz anderes Arbeitstempo herrschte als ich es aus München gewohnt war. Ich langweilte mich in meinen ersten Berufsjahren in Basel ganz fürchterlich. Es hat längere Zeit gedauert, bis ich eine Stelle fand, die mich ausfüllte. Gott sei Dank war es zu dieser Zeit sehr einfach, die Branche zu wechseln. Man konnte ohne Probleme kündigen und fand innerhalb kürzester Zeit eine neue Aufgabe und so habe ich etwa alle 3 Jahre einen solchen Wechsel schaffen können.

Freddy war von seinem Studium in Zürich ziemlich enttäuscht und hatte sich entschlossen in Basel noch ein Physik-Studium anzuhängen. Das bedeutete aber auch, dass ich mit meinem Gehalt endlich mal selbst zurechtkommen musste. Einen meiner ersten Löhne habe ich aber dann buchstäblich auf der Strasse verloren. Ich stieg ins Auto ein und bemerkte nicht, dass meine Handtasche mit 800.- Fr. Inhalt nicht mit ins Innere kam, sondern auf der Strasse liegen blieb. Auch die als ehrlich bekannte Schweiz kennt natürlich schwarze Schafe und so war die Tasche samt Inhalt für immer verloren. Wenn meine damals noch nicht Schwiegermutter mir nicht sofort grosszügig geholfen hätte, weiss ich nicht wie ich diesen Verlust verkraftet hätte. Es war mir jedenfalls eine Lehre.

Wir haben auch in Basel noch 3 Jahre lang gezögert mit dem Heiraten, denn wir kannten uns ja doch nur aus zahlreichen Wochenend-Besuchen. Da wollten wir schon ausprobieren, ob unsere Liebe auch ein Leben lang halten würde. Ich wohnte alleine in der grossen schönen Dachwohnung, Freddy blieb weiterhin bei seiner Mutter und Schwester, denn wir wollten die Sache langsam angehen. Ich durfte am Mittagstisch von Karin teilnehmen und natürlich haben wir viel gemeinsam unternommen. Aber Freddy war auch ein Eigenbrötler, der viel freie Zeit für sich und seine Gedanken beanspruchte. Das musste ich erst einmal lernen und bin noch heute froh, dass wir diese lange Probezeit hatten. So wusste doch jeder, was er vom Partner erwarten durfte. Es wäre gut, wenn die heutigen Eheschliessungen auch mit mehr Geduld und besserem Kennenlernen beginnen würden.

Es war eine spannende Zeit, mit wenig Geld, aber vielen guten Freunden und schönen Erlebnissen. Wir hatten einen Freitags-Stammtisch bei mir begründet. Wir sassen bis spät in die Nacht bei einem Glas Wein und guten Gesprächen zusammen. Jeder brachte sein eigenes Getränk und etwas zum Knabbern mit. Der Austausch war wichtiger als Essen und trinken. Ich denke heute noch oft an diese Zeiten zurück, wenn wir uns mit aufwändigen Menüs gegenseitig übertrumpfen wollen. Ich bin gerade dabei, wieder einfachere Gewohnheiten einzuführen, aber das ist leider nicht leicht, keiner will damit den Anfang machen.


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