Textatelier
BLOG vom: 25.06.2014

Geschichte(n) auf einem Friedhof in den Niederlanden

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
Die niederländische Stadt Maastricht liegt an der Maas und nicht weit entfernt von Aachen/D und der niederländisch-belgischen Grenze in der Provinz Limburg. Der Name der Stadt stammt von der lateinischen Bezeichnung Mosae Trajectum, das heisst Übergang über die Maas, denn die Römer bauten, nach dem sie die Kelten aus dem Gebiet verjagt hatten, eine Brücke über den Fluss. Die Stadt kann sich also als eine der ältesten Städte der Niederlande rühmen.
 
Ich mache einen grossen Sprung in die Zeit der französischen Revolution. Maastricht kam 1794 unter französische Herrschaft, allerdings nur kurz, denn 1814/1815 wurde beim Wiener Kongress die Stadt Teil der Niederlande, die das heutige Gebiet Belgiens und der Niederlande umfasste. Die Belgier machten aber 1830 einen Aufstand und erklärten sich unabhängig. General Dibbets und seine Garnison blieben dem Hause Oranien treu und so entstand Limburg 2x, zum einen nördlich als Provinz der Niederlande und zum anderen als Teil Belgiens. Maastricht blieb in niederländischer Hand und wurde die Hauptstadt der Provinz, auch weil die Bevölkerung sich gegen die Zugehörigkeit zu Belgien aussprach.
 
Vor einigen Tagen habe ich mit meiner Frau und Freunden einen Ausflug in diese Stadt gemacht. Neben der sehenswerten Innenstadt besuchten wir einen grossen Friedhof.
 
Hinter dem Eingang waren Gräber aus den letzten 50 Jahren. Diese interessierten uns weniger, und so liessen wir uns den Weg zum alten Teil zeigen. Dort fanden wir Gräber, an denen der Zahn der Zeit genagt hatte, mit eingefallenen Grababdeckungen und unleserlichen Grabsteinen. Man konnte aber auch Gräber mit Pietas, Engeln und Heiligenfiguren finden.
 
Ein Herr in meinem Alter fragte, ob ich ein bestimmtes Grab suche. Ich verneinte, offenbarte mein Interesse an alten Gräbern, und so kamen wir ins Gespräch.
 
Er wohne in der Nähe des Friedhofs und gehe täglich hier spazieren, um ein wenig zu meditieren. Er lade dazu ein, unter anderem auch wegen der schönen alten Mammutbäume (Sequoioideae), die hier wachsen. Der Friedhof erzähle viel aus der Geschichte. Man könne sogar noch Gräber aus der napoleonischen Zeit finden, denn der Friedhof sei etwa 200 Jahre alt. Und in der Tat, viele Aufschriften auf den Gräbern waren in französischer Sprache verfasst, und die dort Bestatteten hatten französisch klingende Namen.
 
Er hörte meinen deutschen Akzent heraus, sprach so lange deutsch, bis ich ihm zu verstehen gab, dass ich seiner Sprache mächtig bin. Er erzählte von den Kriegsgräbern aus der Zeit des II. Weltkriegs. Natürlich war das von den Deutschen besetzte Gebiet in der Nähe der deutschen Grenze sehr umkämpft. Die Gräber der gefallenen deutschen Soldaten, so berichtete der Herr, seien auf den Friedhof Ysselstein umgebettet worden. Dort, auch in der Provinz Limburg, aber „in einem unwirtlichen Gebiet gelegen“, ruhen alle in den Niederlanden gefallenen deutschen Wehrmachtsangehörigen. So befänden sich jetzt hier Gräber niederländischer, belgischer und amerikanischer Soldaten.
 
Dann zeigte er in die Richtung eines Gräberfeldes, auf dem Kleinkinder beerdigt worden waren. Um den folgenden Kommentar zu verstehen, muss man etwas über die Religionszugehörigkeit in den Niederlanden wissen. Den letzten Umfragen zufolge fühlt sich nur noch etwa die Hälfte der Bevölkerung einer Glaubensrichtung zugehörig. Das war früher aber nicht so. Der grösste Teil der Niederlande war calvinistisch in den 2 Richtungen „hervormd“ und „gereformeerd“. Die Unterschiede genau darzulegen, würde hier zu weit führen. In der deutschen Sprache bedeuten beide Wörter „reformiert“. Heute sind sie vor allem im Norden des Landes stark vertreten, während der Süden traditionell überwiegend katholisch war und ist.
 
Der Herr erzählte von der grossen Not der Mütter, deren Kinder ungetauft gestorben waren. Sie würden nach der Lehre der katholischen Kirche nicht, wie damals, bei den Erwachsenen angenommen wurde, direkt ins „Fegefeuer“ kommen, also in einen Ort der Reinigung (lat. „Purgatorium“), sondern in eine „Vorhölle“, in der sie für „alle Ewigkeit“ verbleiben müssten. Folglich bekamen sie auch kein christliches Begräbnis, sondern wurden verscharrt.
 
(Wie bekannt, wurden noch vor kurzem in Irland 800 Kinderleichen entdeckt, die in christlichen Mutter-Kind-Heimen gestorben und in einem Massengrab „entsorgt“ worden waren. – Inzwischen hat die katholische Kirche die „Vorhölle“ abgeschafft, ungetaufte Kinder können nun doch nach dem Fegefeuer in den Himmel kommen!)
 
Auf dem Gräberfeld, das der Herr anwies, waren keine alten Gräber zu finden, sondern solche aus jüngere Zeit. Sie waren sehr liebevoll gestaltet, mit Spielfiguren und anderem altergemässen Dingen. Die Kinder waren zwischen den ersten Tagen, Monaten und Jahren verstorben.
 
Wir sprachen noch über die Zeit des II. Weltkrieges und jene danach, in der die Niederlande unter anderem Aufstände in ihren damaligen Kolonialgebieten blutig niederschlagen liess. Er meinte, dass die jungen Soldaten, egal aus welchem Land sie kamen, gar keine Wahl gehabt hatten. Sie wurden gezwungen, zu kämpfen, dabei wollten sie nur überleben und wieder zurück in die Heimat.
 
Damit zeigte der Herr, dass er keinen Groll gegen die Deutschen hegt, und er erinnerte auch daran, dass es auch Niederländer zur Zeit der deutschen Besetzung vor 1945 gegeben hat, die an vielen Gräueltaten mitgewirkt haben.
 
Dann verabschiedeten wir uns voneinander, nicht ohne uns gegenseitig noch eine gute Zeit zu wünschen.
 
Auch auf einem Friedhof kann man Geschichte erleben!
 
„Geschichte bietet auch eine Gesamtschau all dessen, was der Mensch zu leisten im Stande ist – zum Wohle der Menschheit oder zu ihrem Schaden. Das Nachdenken über das Wirken anderer kann helfen, die eigene Identität besser zu erkennen und Wertmassstäbe zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren.“
 
Quelle
Wozu Geschichte, von Otmar Zeck.
 
 
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