Textatelier
BLOG vom: 11.11.2013

Unterwegs in Bayern (6): Ein imposantes Freilichtmuseum

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Wie schon früher kurz erwähnt, besuchten wir Bayern-Touristen an einem Regentag das Freilichtmuseum Glentleiten. In diesem grössten Freilichtmuseum Südbayerns sind auf 38 Hektar über 60 original erhaltene, translozierte Gebäude zu sehen. Die Anzahl wird stetig erweitert. Die Gebäude wurden in mühevoller Arbeit an verschiedenen Orten abgebaut und in diesem Freilichtmuseum aufgebaut. Das Alter der Gebäude konnte durch Hinweise in Archivalien und durch eine dendrochronologische Untersuchung ermittelt werden. Das Museum präsentiert die gesamte oberbayerische Region.
 
Die volkskundliche Sammlung der Glentleiten umfasst über 68 000 historische Objekte wie Möbel, Textilien, Arbeitsgeräte und Haushaltswaren, aber auch Gegenstände aus dem Bereich der Frömmigkeit.
 
In diesem Blog, der wegen Literaturbeschaffung etwas verspätet geschrieben wurde, konzentriere ich mich auf wenige Objekte und Besonderheiten.
 
Im modern gestalteten Eingangsbereich lösten wir eine Karte für je 7 Euro. Dann ging es von hier aus durch einen Tunnel ins Freigelände. Zuvor erblickten wir einige Ausstellungstücke, die an der Wand befestigt waren. Eine Kuriosität war das Teilstück einer getrockneten Nabelschnur, die eine Frau bis an ihr Lebensende aufbewahrt hatte.
 
Wie mir Frau Dr. Melanie Bauer, die für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Museums zuständig ist, mitteilte, befasst man sich im Freilichtmuseum Glentleiten seit 40 Jahren mit der Sammlungsarbeit. „Wir zeigen im Eingangsbereich/Tunnel, wie vielfältig unsere Sammlung ist – von der Unterstützung durch unseren Freundeskreis (Ankauf eines Gollers), über Kuriositäten (Nabelschnur) bis hin zu ,modernen’ Objekten (Trainingsanzug eines Ohlstädter Olympia-Teilnehmers 1972) und einem grossen Bauteilearchiv (Feierabendziegel).“
 
Kaum waren wir im Freien, entdecken wir rechterhand die Museumsgaststätte „Starkerer Stadel“ (www.starkerer-stadel.de). Sie ist einer der schönsten Bundwerkstadel Altbayerns und wurde 1855 erbaut. Der Eingangs- und Innenbereich ist modern gestaltet. In diesem Stadel befindet sich die geräumige Selbstbedienungsgaststätte. Hier konnten wir zur Mittagszeit bayrische Schmankerl geniessen. Aber zunächst machten wir uns auf den Weg, um das Freilichtmuseum zu erkunden.
 
Wetzsteine und ein Bildstock
Das Freilandmuseum hat unglaublich viel zu bieten. Auf einer Übersichtskarte sahen wir u. a. Wohn- und Wirtschaftsgebäude, Almgebäude, eine Hirtenhütte, Flachsbrechhütte, Getreidekästen, Stadel, Sakralbauten, Flurdenkmäler, Sägewerk, Getreidemühle, Hammerschmiede, eine historische Kegelbahn.
 
In einem Gebäude des Mühlenbereichs war eine Wetzsteinmacherei untergebracht. In diesem Gebäude konnten wir uns mittels eines Films die aufwändige Herstellung von Wetzsteinen anschauen. Das Material dieser Steine stammte aus speziellen Wetzsteinbrüchen der Ammergauer Alpen.
 
An einem Flurdenkmal (Bildstock, Arme-Seelen-Taferl) war am unteren Standbrett eine Zählvorrichtung angebracht. Auf einem Metallbügel entdeckte ich 5 verschiebbare Holzkugeln. Laut Infos des Freilichtmuseums dürfte das Objekt als Gedenk- bzw. Sühnebildstock für einen Verstorbenen errichtet worden sein. Der Bildstock wurde im Speicher des Stadtmuseums Rosenheim 1999 gefunden und dann vom Freilichtmuseum übernommen. Über das Alter und den früheren Standort ist nichts bekannt.
 
Gebäude und Werkstätten
Wer sich dafür interessiert, kann sich unter www.glentleiten.de (Museum – Unsere Häuser) einen guten Überblick verschaffen.
 
Wir waren erstaunt, wie die alten Häuser eingerichtet waren und mit welch einfachen Mitteln die Hausbewohner ihre Stuben ausgestattet hatten. Sie waren überaus erfindungsreich. So gab es beispielsweise nur eine Heizgelegenheit in der Küche und Stube. Was tun, bei eisigen Temperaturen im Winter, wenn man in nicht beheizten Schlafstuben nächtigt? In einem Haus sahen wir das. Im Boden der Schlafstube war ein quadratisches Loch, das die Wärme aus der Wohnstube nach oben leitete. Bei Nichtgebrauch wurde das Loch wieder verschlossen. Wer diese Einrichtung nicht hatte, wärmte sich mit einer Bettflasche. Wer mal nachts aufs Klo musste, der benutzte einen Nachttopf.
 
Beim „Zehentmaier-Hof“ aus Sauerlach (erbaut 1637/38) nahm ich die Innenansicht der Eingangstüre in Augenschein. Alle Teile sind aus Holz gefertigt (Griff, Falle, Riegel, Zahnriegelschloss, Türpfostenverstärkung mit Führung für Riegel und Zahnriegel). Auch eine offene Feuerstelle mit Feuerungs- und Rauchabzugsöffnung des Stubenofens waren zu sehen. Über der Feuerstelle dieses Rauchhauses war die „Hur“ mit der gewölbten, aus lehmverputztem Flechtwerk hergestellten „Kutte“ als Funkenschutz sichtbar.
 
Wir sahen ein Kastenbett, welches eine Kopie eines Originals aus dem 17. Jahrhundert ist. Es schützte in der ungeheizten Kammer vor der schlimmsten Kälte und vor Zugluft. Die Kammer war noch mit einer Einsteigtruhe, einer Mehltruhe und andere Behältnisse zum Lagern von Vorräten ausgestattet. Die Truhen sind Originalstücke des 17. Jahrhunderts.
 
Bevor die Petroleumlampen eingeführt wurden, dienten Kienspäne und auch Kerzen, die teuer waren, für die Beleuchtung. Im „Hirtenhaus“, einem Kleinanwesen aus Kerschlach, wohnten Hirten und Taglöhner. In der Stubenwand ist die originale Lichtnische für die Kienspanbeleuchtung erhalten. In der Schrift über den Hof las ich dies: „Diese Einrichtung besass gegenüber den transportablen Lichtquellen den Vorteil, dass der Raum rauchfrei blieb. Ein Abzugsschacht führt an der Rückwand (Kammer) zum offenen Rauchfang über der Herdstelle (Küche). Die Kienspannische war mit einem Deckel aus Eisenblech verschliessbar.“ In diesem Haus ist auch eine gusseiserne Wasserpumpe in der Küche untergebracht.
 
Was wurde eigentlich in den Hausgärten angebaut? Diese Frage interessierte mich sehr. Laut Besitzerbefragung im Jahre 1983 wuchsen im Hausgarten des „Hirtenhauses“ folgende Pflanzen: Gemüse-, Salat- und Kräutersorten, Beerensträucher und einige Blumenstauden. Der Garten wurde bis 1962 bewirtschaftet. Im Hofbereich standen etliche Obstbäume.
 
In einem anderen Haus war die Seilerwerkstatt aus Weilheim untergebracht. Diese originale Werkstatteinrichtung zur Herstellung von Seilen wurde bis 1925 betrieben. Hier finden auch Vorführungen statt – man kann also miterleben, wie ein Seil entsteht.
 
Ein schmuckes Bienenhaus
Da ich mich für Bienen und die gesundheitliche Wirkung von Bienenprodukten sehr interessiere, sah ich mir das 1910 errichtete Bienenhaus aus Hohenpeissenberg näher an. Es handelt sich um einen eingeschossigen verschalten Ständerbau aus Holz mit Zierelementen und dekorativem Farbanstrich. Es ist mit einer Grundfläche von 23 m2 und einer Firsthöhe von 4 Metern ein stattliches Gebäude. In diesem Haus finden 30 Bienenvölker Platz.
 
Das Haus wurde vom Bergmann Kaspar Schöll und seiner Frau Genoveva errichtet. Die Frau betrieb die Imkerei, eine Besonderheit der damaligen Zeit. Die Imkerei war nämlich bis in die 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Domäne der Männer. Es gibt einen klischeehaften Spruch aus der damaligen Zeit. Er lautete so: 
„Die Frauen und die Bienen sind gleicher Art/
Sie sind süsse Geschöpfe, behandle sie zart/
Doch wenn du mit ihnen verlierst die Geduld/
Verspührst du den Stachel/ bist selber dran schuld.“ 
Sehr interessant war die Betrachtung des Inneren. Zu sehen war die Originalausstattung mit Imkereigerätschaften. Auf dem Gelände befindet sich noch ein 2. Bienenhaus aus Orthofen.
 
Her mit der Kohle!
Damit ist nicht das liebe Geld, sondern die Holzkohle gemeint. Im Freigelände sind ein Schau-Kohlenmeiler im Längsschnitt und eine offene Köhlerhütte zu sehen.
 
Am 04.08.2013 wurde das Entzünden eines Meilers in der Nähe des Schau-Kohlenmeilers anlässlich eines Köhlerfestes durchgeführt. Das Verschwelen von Holz ist übrigens die älteste Methode, Holzkohle herzustellen. Aus einem Ster Buchenholz entstehen nach der gezielten Verbrennung ohne Sauerstoffzufuhr etwa 90 kg Holzkohle. Früher musste der Köhler in der einfachen Köhlerhütte übernachten, um das richtige Verschwelen zu kontrollieren.
 
So wurden Kartoffeln gedämpft
Unter einem nach vorne offenen verschalten Unterstand sahen wir einen alten Kartoffeldämpfer aus den 1950er-Jahren. Eine überdimensionale alte SW-Aufnahme war seitlich angebracht. Da stand der Betreiber eines Dämpfers, von Dampf umhüllt, seitlich davon und überprüfte den Dämpfprozess.
 
Solche Dämpfer kann man auch bei uns im Südlichen Schwarzwald bei Brauchtumsfesten bzw. Erntedankfesten in Aktion bewundern. Das Gerät besteht in der Regel aus einem beheizbaren Dampferzeuger. Zunächst wird der Kessel an die Wasserleitung angeschlossen, und dann wird kräftig eingeheizt. Der Dampf wird dann über einen Schlauch in die mit Kartoffeln befüllten Grosstöpfe geleitet. Über ein Ventil an den Töpfen kann der Dampf entweichen. Wenn es zu zischen beginnt – Ähnliches beobachtet man ja auch beim häuslichen Dampfkochtopf –, dann weiss der Dämpfer, dass die „Herdäpfel“ gar sind.
 
Die Dämpfer hatten früher Hochkonjunktur. Es waren Zeiten, da Schweine vorzugsweise mit Kartoffeln gemästet wurden. Die gedämpften Kartoffeln wurden fest im Silokessel gestampft. Die Schweine hatten dann über den ganzen Winter Kartoffeln auf ihrer „Speisekarte“.
 
Das Back- und Dörrhaus
Es ist ein ehemaliges Nebengebäude eines grossen Firsthofes aus Arget. Um 1930 wurden darin für die 17 Hofbewohner alle 14 Tage etwa 10 Laibe Brot gebacken.
 
Während unseres Besuches im Freilichtmuseum war gerade ein Angestellter dabei, Apfel- und Birnenschnitze zu dörren. Wie er uns erklärte, werden diese 2 Tage lang bei etwa 50 °C behandelt. Dann sind die Schnitze nicht zu trocken, sondern weicher und enthalten noch viele Vitamine.
 
Melanie Bauer gab mir auf meine Frage, was 2014 geplant sei, Auskunft. Im Mai 2014 wird eine Sonderausstellung zum Thema „Hochzeit im ländlichen Oberbayern“ eröffnet. Diese Ausstellung wird gemeinsam mit dem Zweigmuseum, dem Bauernhausmuseum Amerang im Chiemgau, konzipiert. 2014 wird auch ein Sägewerk aus Schönegg, Gemeinde Dietramszell, fertiggestellt. Der Aufbau läuft jetzt schon. Geplant sind auch Vorführungen in diesem Sägewerk. Vorgesehen ist auch, dort eigenes Holz zuzuschneiden.
 
Das Museum hat sehr viel zu bieten. Er gibt zahlreiche Veranstaltungen (auch für Kinder) und Sonderausstellungen. Es lohnt sich, dieses Freilichtmuseum zu besuchen.
 
Zu erwähnen wäre noch, dass es den Freundeskreis Freilichtmuseum Südbayern e. V. (1972 gegründet) mit mehr als 3400 Mitgliedern gibt.
 
Mein herzlicher Dank geht an Melanie Bauer, die mir etliche Infos über das Museum lieferte und auch dieses Blog kritisch durchlas.
 
Fazit unserer Bayernreise
Dies war das letzte Blog über unsere Bayernreise. Es gäbe noch vieles zu erzählen. Was hat uns besonders gefallen? Für uns war die zauberhafte Landschaft der Ammergauer Alpen ein unbeschreibliches Erlebnis. Dann natürlich die kulinarischen Genüsse, die wir ausgiebig probierten. Wir taten auch etwas für unsere Gesundheit: Wandern und das Geniessen des „flüssigen Brotes“. Wer das Bier in normalen Mengen trinkt, bleibt angeblich gesund und steigert seine Lebenserwartung. Dies erkannte schon Hildegard von Bingen.
 
Das schöne Bayernland ist also immer eine Reise wert.
 
 
Internet
 
Eintrittspreise
Erwachsene: 7 €, Kinder bis 6 Jahre: Eintritt frei; Kinder und Jugendliche von 6 bis 15 Jahre: 2 €. Es gibt auch Familienkarten und Eintrittskarten für Studenten und Auszubildende. Mitglieder des Freundeskreises: Eintritt frei. Näheres im Internet.
 
Öffnungszeiten
Vom 19. März bis 11. November, Dienstag bis Sonntag von 9 bis 18 Uhr, an Feiertagen und von Juni bis Ende September auch montags geöffnet. Nach der Sommerzeit schliesst das Museum um 17 Uhr.
 
Literatur
Borgmann, Jan: „Das Bienenhaus aus Hohenpeissenberg“, aus dem Jahrbuch für die oberbayerischen Freilichtmuseen Glentleiten und Amerang, 2009.
Herborg, Ute; Keim, Helmut; Krajicek, Helmut: „Das Hirtenhaus aus Kerschlach“, Dokumentation IV, Freilichtmuseum des Bezirks Oberbayern, Grossweil 1990.
Keim, Helmut; Waldemar, Georg: „Der Zehentmaier-Hof aus Sauerlach“, Dokumentation III, Freilichtmuseum des Bezirks Oberbayern, Grossweil 1989.
Weidlich, Ariane: „30 Völker unter einem Dach“ (Zu Geschichte und Präsentationskonzept des Bienenhauses aus Hohenpeissenberg), aus dem Jahrbuch für die oberbayerischen Freilichtmuseen Glentleiten und Amerang, 2009.
 
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