Textatelier
BLOG vom: 14.04.2013

Sinologie: Dia-Reise von Sissach zur Teestrasse in Yunnan

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
„Schmecken und fühlen kannst du ihn, doch nicht beschreiben, den köstlichen Zustand der Ruhe, den der Tee hervorbringt, jener unschätzbare Trank, die die 5 Ursachen des Kummers vertreibt.“
Kaiser Chien Lung (1710‒1799) Mandschu-Dynastie
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Die Seidenstrasse ist ein allgemein bekannter Begriff. Weniger berühmt ist die Teeroute, die mit dem südlichen Teil der Seidenstrasse auf chinesischem Territorium, vor allem in Yunnan, des grössten Teeanbaugebiets von China, identisch ist. Diese alten Handelsrouten sind eigentliche Netzwerke, auf denen selbstredend auch andere Güter wie Heilpflanzen, Salz usw. transportiert wurden.
 
Über die Geschichte der Teestrasse referierte am Abend des 09.04.2013 im Tee-Raum an der Hauptstrasse 96 Sissach BL Dr. Xian Chu Kong („Hinchi“), der mit 11 Jahren in die Schweiz gekommen und in Sissach aufgewachsen ist. An der Universität Basel studierte er Neurobiologie. Heute vermittelt er Verbindungen Schweiz‒China und informiert die Schweizer möglichst objektiv über China (www.wakong.ch), was bei den medial verbreiteten Zerrbildern nicht schaden kann. Den Chinesen sieht man ihm an: quirlig, immer wieder fröhlich laut lachend, schwarzes Haar, randlose Brille, und er hat beim Sprechen Mühe mit dem R, das gern etwa in die Nähe des L rutscht, besonders wenn es am Wortanfang steht. Ansonsten ist sein Deutsch untadelig; der leichte Akzent macht seine Sprache sympathisch – ein schmucker Pfeiler seiner Brücke zu China.
 
Nach seinen Angaben ist die Teestrasse etwa 2200 Jahre alt. Sie war bis um 1960 in Betrieb; hatte aber seit dem Bau der Transsibirischen Eisenbahn und dem Ausbau des Strassennetzes aus der Provinz Yunnan im südlichen Himalaya auf rund 1000 Höhenmetern an Bedeutung verloren. Yunnan ist flächenmässig grösser als Deutschland und als bedeutendes Teeanbaugebiet bekannt. Verschiedene Ethnien (Menschengruppen mit einheitlicher Kultur) machen die Provinz farbig: Zhuang, Yi, Miao, Bai, Hani und Dai. Von dort führt die Teestrasse über den Himalaya nach Tibet, aber auch nach Peking und zu den Zentren des russischen Reichs.
 
Das bedeutendste Teilstück der Teestrasse war die Verbindung ins tibetische Hochland, ausgehend von Lijiang, wo die Naxi-Minderheit Landwirtschaft betreibt, und Kunming („Stadt des ewigen Frühlings“, und Hauptstadt der Provinz Yunnan und Partnerstadt von Zürich). Berühmt ist der sogenannte Steinwald, etwa 100 km südöstlich von Kunming. Wie riesige, zusammengepferchte Tannen stehen die ausgewaschenen Kalksteintürme in der Landschaft.
 
Ausgemergelte menschliche Träger oder Pferde schleppten die Teeballen hinauf ins Tibet, nach Chengdu und Lhasa. Im Gegenzug wurden Zuchtpferde aus dem Tibet nach China transportiert, welche die Kaiser vor allem für den Kriegseinsatz bestellt hatten; 1 Pferd galt so viel wie 60 kg Tee. Der Pferdehandel war zentral kontrolliert.
 
Mit dem Buddhismus wurde der Teegenuss nach Süden verbreitet – die Mönche, die nur 1 Mal am Tag (mittags) assen, hielten sich damit wach. Es macht sich schliesslich nicht gut, wenn man beim Meditieren einschläft. Zudem löst der Tee Verdauungsprobleme. Gelegentlich wurde ein Buttertee mit Milch und Salz konsumiert. Später waren auch Tees mit süssen Zwiebeln, Ingwer, Orangenschalen, Gewürznelken und Pfefferminze in China allgemein beliebt. Mit den Teebaumfrüchten, die aber für die Teeherstellung keine Bedeutung hatten, machten die Chinesen ihre schwarzen Haare glänzender. Für guten Tee werden nur die obersten, zartesten Blätter des zurückgeschnittenen Teestrauchs handgepflückt.
 
Yunnan hat ein verhältnismässig mildes Klima und eignet sich für den Anbau der Teepflanze ausgezeichnet. Sie wurde vorerst als Heilpflanze genutzt, etwa zur Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit. Die Tibeter, die auf 4000 m ü. M. keine Früchte und kein Gemüse anbauen konnten, schätzten den Tee wegen seiner Inhaltsstoffe, welche Defizite aus der eiweissbetonten Kost wettmachen konnten. Daraus erwuchs eine hochentwickelte Teekultur, wobei der aromatische Golden-Yunnan-Tee als bester Schwarztee gilt. Der Pu’er-Tee (andere Schreibweise: Pu-Erh) kommt ebenfalls aus Yunnan. Er stammt aus der Urform des Teestrauchs (Camellia sinensis): Qingmao. Diese Sorte durchläuft einen langwierigen Reifungsprozess – mindestens 5 Jahre müssen es sein. Er wird mit zunehmendem Alter immer schmackhafter. Die sich steigernde Güte wurde entdeckt, weil der Tee beim Transport auf dem Rücken von Pferden oder Menschen immer wieder durch Niederschläge befeuchtet wurde und dadurch unterwegs seine Fermentation (sauerstofffreie Gärung) fortsetzen konnte. Der Tee wurde auch in Fladen-, Ziegel- oder Kugelform gepresst, was den Sauerstoffzutritt erschwerte. Dieser ausserordentlich teure Tee kann, wie viele andere gute Tees auch, mehrfach aufgegossen werden.
 
Der Teetransport auf den schmalen, gebirgigen Wegen durch eine Landschaft mit ihren wilden Schluchten, zerklüfteten Karstlandschaften (Kalk herrscht vor) und steilen Bergen war unglaublich beschwerlich. Die 15 km lange Tigersprung-Schlucht (Hutiao Xia), durch die sich der Jangtsekiang (Yangzi) zwängt, ist mit 3900 m Höhenunterschied die tiefste Schlucht der Welt. Die menschlichen Träger konnten ihre 50 bis 150 kg schwere Last in Ruhepausen nicht ablegen, sondern nur auf einen Stock abstützen. Die Träger, die beim Kreuzen auf den schmalen Wegen in einzelnen Fällen in die Tiefe der Schlucht gestossen oder Opfer von Überfällen oder Raubtieren wurden, waren zudem miserabel honoriert. Für den 20-Tage-Marsch erhielten sie Reis für 30 Tage, so dass also nur Reis für 10 Tage übrigblieb – ein Hungerlohn.
 
Tee gilt als meist getrunkenes und heiss geliebtes Getränk auf dieser Erde. Selbst in unserem Haus in Biberstein wird jeder Tag mit einem Tee oder tee-ähnlichen Aufguss begonnen, wobei wir auch Wildwuchs aus dem Garten verwenden. Im Moment sind es gerade die eisenhaltigen Brennnesseln, die uns mit ihrer blutreinigenden Wirkung zu einem kräftigenden Tee mit erdigem Geschmack verhelfen. Auch Grüntee (nicht fermentiert) und Schwarztee gehören zu unserem Repertoire, wie gelegentlich auch ein fruchtiger Roobiostee aus Südafrika. Der Japaner Okakura Kakuzo formulierte im Teedunst einst: „Der Teekult gründet auf der Bewunderung des Schönen inmitten der nüchternen Tatsachen des Lebens; er umfasst Reinheit und Harmonie.“
 
Lebenskunst, Gleichmut sind weitere Eigenschaften, die sich mit dem Tee in Verbindung bringen lassen. Nach seinem Genuss ist man wieder fit für grosse Tigersprünge.
 
Hinweis
Im September 2013 führt Xian Chu Kong eine Tee-Exkursion nach Yunnan durch. Anfragen via E-Mail: info@wakong.ch oder Tel. (+41 62 922 44 55). Man möge die Interessenten ziehen lassen.
 
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