Textatelier
BLOG vom: 20.12.2012

Die Schnapszahlen-Magie des Lebens und des Sterbens

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Sie glauben nicht an Zahlen? Lassen Sie sich eines Besseren belehren!
 
Es war nicht anders möglich. Sie waren für einander geschaffen. So viele Zufälle gibt es nicht. Irgendwas, irgendwer, irgendeine Magie hatte etwas mit ihnen vor. Sie waren sicher, sie standen unter einem besonderen Stern. Das fühlten sie nicht nur, das wussten sie. Es konnte anders nicht sein. Immer wieder erzählten sie „ihre“ Geschichte. Bei so vielen Gelegenheiten wurden sie wieder und wieder darauf gestossen.
 
Das Paar hiess Otto und Anna. Schon das war bemerkenswert. Beide Vornamen waren Palindrome, von vorn und von hinten gleichermassen lesbar.
 
Das erste Wort, das sie zusammenbrachte, war das Wort „Zahlen!“. Sie riefen es dem Ober im Restaurant zu, beide gleichzeitig. „Sie zuerst, ich gehe auf den 2. Platz!“ sagte er. „Nein, zahlen Sie zuerst, danach ich.“ sagte sie.
 
Der Ober brachte die Rechnungen. „7,77 €“, sagt er. „Wer, sie oder ich?“ fragte er. „Sie und Sie,“ sagte der Ober, „beide gleich!Schnapszahlen!“ - „Und das am 7.7.1977! Ein lustiger Zufall!“, sagte Anna. Ottos Blick fiel auf die Armbanduhr von Anna. „Genau um 19.19 Uhr!“ strahlte er.
 
Gehen wir noch etwas trinken?“ fragte er sie, als sie das Restaurant verlassen hatten. Sie nickte zustimmend.
 
Er dirigierte sie so, dass sie den Anschlag am Fenster des Restaurants nicht sehen konnte, auf dem stand: „Schnapszahltag! Heute kostet unser Tagesmenü + 1 Getränk nur € 7,77!“
 
„Bei so vielen Schnapszahlen sollten wir auch einen Schnaps trinken,“ meinte Otto. „Aber nur einen,“ mahnte Anna, „keine 7!“ Sie kicherte. „Bei mehr sehe ich dann nur noch doppelt!“
 
Sie hatten sich viel zu erzählen. Ihre Geburtstage: Otto war am 12.12.48 geboren. „Auch die Quersumme von 48 ergibt 12!“ sagte er. „Und du?“ „Am 5.5.55!“ Ungläubiges Staunen: „Jetzt schwindelst du aber!“ ‒ „Wirklich, ich beweis’ es dir!“ Sie zeigte ihren Ausweis.
 
„Ich bin ein Magiker,“ sagte Otto, „ich unterrichte Mathematik! Zahlen haben Magie!“
Anna machte ein fragendes Gesicht.
 
„Weisst Du, was die ‚Schrittlänge der Schöpfung’ ist?“ fragte Otto. Anna zog beide Schultern nach oben. „Also, das ist die Zahl 273. Eine magische Zahl! Ich erkläre es dir! Schau’ mal: Wie lange dauert die Umlaufbahn des Mondes um die Erde? 27,3 Tage! Wie viele Tage sind es zwischen den Menstruationszyklen der Frau? Genau so viele! Wie lange dauert etwa die Schwangerschaft? 273 Tage! Wie gross ist der Mondradius, verglichen mit der Erde? 0,273 Erdradien. Und die Mondbeschleunigung? 0,273 cm/qm. Und der absolute Temperatur-Nullpunkt, kälter geht’s nicht? ‒273,3 Grad Celsius. Die Eigenrotation der Sonne dauert? 27,3 Tage!“ Otto schaute triumphierend.
 
„Zahlen haben etwas Magisches! Und das sage ich nicht nur einfach so hin, weil ich täglich damit umgehe,“ meinte Otto. „Weisst du, was Galilei gesagt hat? ‚Die Mathematik ist das Alphabet, mit dem Gott die Welt geschrieben hat!’“
 
Auch Anna beschäftigte die Welt der Zahlen immer mehr, ja sie erinnerte sich sogar, eines ihrer Schulbücher hiess damals „Die Welt der Zahl“. Otto war zwar für ihre Begriffe ein wenig zu viel in Zahlen vernarrt, aber sie mochte ihn.
 
Im nächsten Jahr entschlossen sie sich, zu heiraten. Es war keine Schnapsidee, Otto bestand darauf, am 27.3. zum Standesamt zu gehen, die Schrittlängenzahl der Schöpfung. Anna hatte sich mit Zahlen beschäftigt, sie war der Ansicht, sie sollten am 8.7.78 heiraten, ein Palindrom wie ihre Vornamen.
 
Der erste grosse Streit entstand. Sie erklärte ihm, warum sie auf ihr Datum bestand. „Die magische Zahl 8 ist die Zahl der Gerechtigkeit. Ausserdem, wie du weisst, wenn man sie querliegend schreibt, bedeutet sie Unendlichkeit. So lang soll unsere Ehe halten. 7 ist die Zahl der magischen Kräfte, Körper (4) und Geist (3) werden vereint und bilden eine Ganzheit. Und nicht zu vergessen: 7 ist eine Glückszahl!“
 
Er beugte sich den Argumenten, nicht ohne innerliches Grollen. Sie hatte recht behalten. Im 11. Jahr ihrer Ehe klappte es endlich. Am 8.8.88 wurde ihre Tochter geboren. Sie nannten sie Hannah.
 
Die Jahre gingen vorbei. Glückliche Jahre. Dann wurde Otto krank. Er starb am 20.12.2012. Anna und Hannah legten ihm eine Flasche Schnaps und ein Mathebuch mit ins Grab.
 
Am 21.12. ging die Welt nicht unter, der Mayakalender begann einen neuen Zyklus. Am 27.3. des folgenden Jahres soll Hannahs Kind geboren werden, sie wollen es Natan Leon-Noel nennen.
 
„Die Zahl ist das Wesen aller Dinge“, sagt Pythagoras von Samos. Und der Liebe, was hiermit bewiesen wäre.
 
Quelle
 
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