Textatelier
BLOG vom: 08.02.2012

Die Kinder vom Napf in ihrem gesunden Lebensumfeld

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Ich habe den Beitrag der Dokumentarfilmerin Alice Schmid in der Zeitschrift Schweizer Familie gelesen. Sie berichtet darin von den Kindern, die im Napfgebiet im Luzerner Hinterland zu Hause sind. Ein ganzes Jahr lang hat sie die Schulkinder überallhin begleitet und gefilmt. Es ist ein eindrücklicher Film entstanden.
 
Spannend vom ersten Augenblick an. Die Kinder sind keine Schauspieler, sie zeigen sich, wie sie sind, wie sie ihren Lebensraum erfahren. Sie tun es, als wären sie mit uns, die ihren Film anschauen, vertraut. Kinder von heute, die aber vieles weitertragen, was früher üblich war. Kinder von Bergbauern, die von klein auf angemessene Aufgaben erfüllen müssen. Die mit Tieren auf Du sind, in einer Landschaft leben, die sie mit vielen Extremen bekannt macht. Die einen weiten Schulweg haben. Einige wohnen 10 km von der Schule entfernt. Im Winter wenn die Sonne erst spät erscheint, beginnt ihr verschneiter Schulweg im Dunkeln. An einem Ort, wo es keine Strassenlaternen gibt. Da tragen die Kinder Stirnlaternen, die den Weg ausleuchten können. Einige Kinder müssen ein Stück weit eine Seilbahn und einen Schulbus benützen.
 
Es ist eine urtümliche Lebensweise und doch wieder nicht. Oben im Napfgebiet arbeitet der Bergbauer mit modernsten Landmaschinen, die ihn bei der Arbeit auf den stotzigen Hügeln unterstützen. Die Kinder sind so gekleidet, wie wir sie hier in Zürich auch sehen und haben ein Wissen, was in der Welt vor sich geht. Und es interessiert sie, wer berühmt ist. Einige möchten das auch werden. In der Schule sitzen verschieden alte Kinder miteinander im Unterricht. Die Kleinste ist ein Original. Ich staunte, was sich die Kinder überlegen, was sie vom Leben schon begriffen haben, was sie weitertragen, aber auch Antworten mit Fragezeichen geben.
 
Eindrücklich empfand ich die Darstellung des Weihnachtsfests in der dunklen Kirche von Romoos. Nur gerade so ausgeleuchtet, dass im Altarbereich die goldenen Ornate der Priester aufschienen. Gesichter waren nicht zu erkennen. Es entstand der Eindruck von etwas Überirdischem, Heiligem. Die im Dunkel der Kirche sitzenden Gläubigen erhoben sich zum Stille Nacht, heilige Nacht. Es ertönten alle Strophen dieses alten Liedes. Ein Gesang voll Innigkeit, eine liebenswürdige Wucht.
 
Ähnlich eindrücklich wirkten auf mich die Jahreszeiten, wie die Kinder mit Wind und Wetter, Gewittern, Regen und Schnee vertraut sind. Und wie sie Geräusche erkennen und einige mit Geistern in Zusammenhang bringen. Und ihre Lebensfreude ist einmalig. Zum Beispiel beim Heuen, wenn sie sich in die Heuhaufen werfen. Oder wenn sie mit ihren Fahrrädern die Strasse ins Tal hinunter sausen. Die kleine Laura selbstverständlich auch dabei. Und dann die Nähe zu den Tieren. Das Vertrautsein mit ihnen. Und die Natürlichkeit ihrem Tod gegenüber. Die Kuh wird verabschiedet, wenn sie zum Schlachten abgeführt wird. Man wünscht ihr ein gutes Leben im Kuhhimmel.
 
Primo begeisterte es, wie die Buben die Grasränder beim Hühnergehege abschnitten, zuvor die Sense dengelten, dann das Abgeschnittene mit dem Rechen zusammen nahmen, es in ein Wägeli schütteten und auf dem Spielzeugtraktor heimfuhren. Diese Delikatesse wurde dann ihren Kaninchen verfüttert.
 
Ein Knabe werkte mit Holzlatten, kämpfte mit dem Schraubenzieher. Lange fragte ich mich, was er herstellen wolle. Ich dachte an eine Bank. Schlussendlich wurde es ein Podest, auf dem 3 Knaben mit ihren Instrumenten aufspielen konnten. Mit hölzernem Geländer, das die Musikanten zu einem schönen Bild einrahmte.
 
4 der Kinder, die in diesem Film aufgetreten sind, dürfen nun ans Filmfestival Berlinale nach Berlin reisen. Dort werden sie, wie es heisst, als Botschafter vom Napf auftreten und erleben dürfen, wie fremde Menschen und Filmkritiker mit ihren Argusaugen die Darstellung ihrer Welt taxieren. Sie reisen am 9. Februar 2012 ab, erleben erstmals einen Flug. Ich werde in den nachfolgenden Tagen aufmerksam auf Nachrichten vom Filmfestival warten. Der Dokumentarfilmerin Alice Schmid gratuliere ich aber schon jetzt. Ich bewundere ihre hohe Sensibilität allem Lebendigen gegenüber und wie sie Werte ganz natürlich aufscheinen lässt. Besonders auch ihre ruhigen Landschaftsbilder.
 
 
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