Textatelier
BLOG vom: 05.02.2011

Die Schere im Kopf: obligatorisch für Schreiber und Verleger

Autor: Ernst Bohren, Teufenthal AG/CH
 
Zum Jahresbeginn ist Peter Rothenbühler, Ex-Chefredaktor der Schweizer Illustrierten und heutiger Vizedirektor bei Edipress, dem Roger de Weck, Ex-Chefredaktor beim Tages-Anzeiger und neuer SRG-Generaldirektor, ziemlich an den Karren gefahren. In seiner Kolumne in der SonntagsZeitung vom 09.01.2011 hielt er dem frischgebackenen SRG-Generaldirektor vor: „Schade, dass in Ihren sieben Leitlinien für die SRG der wichtigste Punkt fehlt: Die Freiheit der SRG, ihr Programm zu gestalten ohne sich von den Politikern reinreden zu lassen. Sie erklären zwar trotzig: ‚Werbung darf das Angebot nicht bestimmen.‘ Ich frage Sie: Wann haben je VW oder Nestlé das Programm diktiert? Mutiger – aber gefährlicher für Sie wäre der Satz gewesen: ‚Parteipräsidenten dürfen das Programm nicht bestimmen‘. Nicht mehr befehlen, wer an der ‚Arena‘ teilnehmen darf oder wer diese moderieren soll. Keine Zeitung lässt sich von ihren Inserenten so drangsalieren, wie es Politiker gegenüber der SRG in den letzten Jahren getan haben.“
 
Über den letzten Satz der oben zitierten Kollegenschelte des Peter Rothenbühler darf ausgiebig gelacht werden. Zwar hat der Kolumnist nicht Unrecht, wenn er die Machtansprüche der Politiker in Sachen Auftritte an der „Arena“ anprangert. Tatsächlich ist dieses Sendeformat schon längst nicht mehr jenes „unschuldige“ Informationsforum für die politische Meinungsbildung. Die „Arena“ hat sich mit fortschreitendem Alter – nicht zuletzt unter dem Druck der Parteipräsidenten und ihrer Strategen – zur totalen Wahlkampfbühne entwickelt. Wo Rothenbühler Recht hat, wollen wir ihm nicht widersprechen, aber die Aussage „Keine Zeitung lässt sich von ihren Inserenten so drangsalieren, wie es Politiker gegenüber der SRG in den letzten Jahren getan haben“ muss relativiert werden.
 
Tatsache ist: Die massgebenden Marketingleute der Wirtschaft haben es gar nicht mehr nötig, die Zeitungen zu „drangsalieren“. Dazu gibt es heute viel subtilere Methoden. Wer die „Gesetzmässigkeiten des Marktes“ nicht in Rechnung stellt, ist bald einmal weg vom Fenster. Wer von uns denkt noch an jene Zeit – in den 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre war es wohl, wenn ich mich recht erinnere – als man noch mit der Holzhammermethode werkelte: Da hatte sich doch die Tages-Anzeiger-Redaktion recht kritisch und ausführlich mit den Schattenseiten des Individualverkehrs und dem Wirken der Autolobby auseinander gesetzt. Was zur Folge hatte, dass ein Zürcher Generalimporteur einer aufstrebenden japanischen Automarke prompt sämtliche bereits disponierten Inserate stornierte und das Blatt eine längere Zeit boykottierte, weil ihm die informative, aber kritische Haltung nicht in den Kram passte. Am Inserate-Boykott beteiligten sich dann auch ein paar andere Autoimporteure, so dass der Tages-Anzeiger eine ganze Weile ohne Autowerbung auskommen musste.
 
Tempi passati! Die Medienwelt der Holz verarbeitenden Branche (Journalisten, Chefredaktoren, Verleger) hat ihre Lektion inzwischen gelernt. Im vorauseilenden Gehorsam werden heute alle Wünsche der grossen Anzeigendisponenten erfüllt, sowohl was die Gestaltung der Textseiten als auch deren Inhalt betrifft. Mehr noch: das Rennen um den ersten Rang im grossen Quoten-Wettbewerb ist bereits dermassen pervers geworden und perfektioniert, dass man gut und ungern von Prostitution sprechen kann (vergleichen Sie dazu auch mein Blog vom 14. 09. 2010: „Wenn und wie die Zeitungsverleger auf den Strich gehen“). Was immer die Werber, diese Durchlauferhitzer der Kauflust und Konsumwut, sich ausdenken und wünschen, das bekommen sie auch. Wie sagten wir früher? Den Fünfer und das Weggli – und vom Samstag auf den Sonntagmorgen gratis die Ladentochter dazu. Die Hauptaufgabe des Redaktors ist es heute, dem Inserenten ein günstiges redaktionelles Umfeld für seine Werbung anzubieten.
 
Da ist denn für den grossen Verlag Ringier der umtriebige Urs Heller ein Glücksfall par exellence. Dank ihm kennen Ringiers Zeitschriften keine Krise. Der ehemalige Journalist, unter anderem als Chefredaktor der „Schweizer Illustrierten“ und heutiger Geschäftsführer sowie Mitglied der Geschäftsleitung, weiss als oberster Heftlimacher des Ringier-Konzerns, wie man bunt bedrucktes Papier verkauft. In einem Interview mit dem Medien-Magazin „Klartext“ hat er vor gut einem halben Jahr aus dem Nähkästchen geplaudert. Daraus nur 2 aussagekräftige Perlen:
 
„Bei den Zeitschriften ist der Chefredaktor der „Schweizer Illustrierten“, Nik Niethammer; eigentlich unser Quotenmann, „Glückspost“, „Bolero“ und „Style“ werden von Frauen geleitet.
 
Anmerkung: Das Lifestyle-Magazin „Style“ ist ein rassenreines PR-Magazin, das dem Verlag so viel Cash in die Kasse spült, dass es sogar ab und zu der „Schweizer Illustrierten“ gratis beigelegt wird. Die Frage „Weshalb sind Frauen gute Heftlikäuferinnen?“ beantwortete der Feinschmecker Heller, der seinen Zusatzjob als Chefredaktor des Gastroführers „Gault Millau“ als Freizeit deklariert, ziemlich offen:
 
„Frauen sind treu: Wenn sie sich einmal mit einer Zeitschrift identifiziert haben, bleiben sie dabei. Auf der ganzen Welt haben die meisten Zeitschriften eine eher weibliche Leserschaft. Es gibt ein paar Nachrichtenmagazine für die Männer, aber sonst … Wir hatten ja in der Schweiz das Magazin „Facts“, doch das Projekt wurde zum Flop, und zwar nicht, weil die Redaktion das Heft nicht gut genug gemacht hat. Der Markt wollte den Titel einfach nicht.“
 
Hoppla! Man sieht, der Mann hat den absoluten Durchblick. Er weiss genau, was der Markt – genauer, die Werbewirtschaft – will. Nämlich mehr Konsumanimation und Leserverblödung. Was die Werber ganz bestimmt nicht wollen, das sind kritische Informationen und Transparenz. Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen. Das Interview in voller Länge mit dem obersten Heftlimacher von Ringier ist im Internet unter www.klartext.ch nachzulesen.
 
Zum Schluss mein persönlicher Rat, der auch als Antwort auf die Behauptung von Peter Rothenbühler gelten kann, die grossen Inserenten hätten keine Macht und keinen Einfluss auf das Tun und Lassen der Printmedien, vor allem nicht auf deren Ab- oder Überleben: Auch wenn man den ganzen Tag mit der Schere im Kopf herumläuft, sollte man – bei aller Selbstzensur – sich selber treu bleiben. Vor allem aber sollten auch die Medienschaffenden sich und den anderen nichts vormachen, sondern endlich dazu stehen, dass die Werbewirtschaft den Markt bestimmt. Im Übrigen müssen sie doch wohl mit ihrer Arbeit – wie alle anderen vom Lohn abhängigen Arbeiter auch – in erster Linie den Brotkorb für sich und ihre Familie füllen.
 
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