Textatelier
BLOG vom: 15.01.2011

Silex-Fundstelle: Steinzeitliches Strohfeuer in Wangen b. Olten

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Den steinbeinharten Steinen, die kantig brechen, wenn man sie geschickt aufeinander schlägt, sagten wir Feuerstein; der fachliche Oberbegriff lautet Silex (oder auch Flint). Die Schlagtechnik ist ein Kunststück; wer sie beherrscht, kann erreichen, dass die Steine an der gewünschten Stelle brechen.
 
In der Steinzeit, als die Metallverarbeitung noch unbekannt war, verwendeten die damaligen Bauern und Hirten, die das Nomadenleben soeben überwunden hatten, das Siliziumdioxid-reiche Sedimentgestein für Äxte und andere Werkzeuge wie Messer und Sicheln, ebenso für Pfeilspitzen. Wie der Name sagt, benützte man sie auch zum Feuermachen, was aber durch Aufeinanderschlagen von Feuersteinen allein nicht gelingt. Dazu braucht man auch noch Schwefelkies (Pyrit oder Markasit). Auf diese Materialien wird mit Feuersteinen geschlagen, bis Funken sprühen, die dann leicht entzündliches Material in Brand setzen können.
 
Mit Tierknochen wie Schulterblättern von Ochsen und Geweihen von Rothirschen gruben unsere Vorfahren Gänge und Löcher ins brüchige Kalkgestein, um zu den Silex-Schichten vordringen und sie ausbeuten zu können. So war es etwa in Wangen bei Olten SO als einer der bekannten beiden grösseren Abbaustellen in der Schweiz; die andere befand sich beim Weiler Löwenburg im Pleigne im heutigen Kanton Jura, die um 1960 erforscht wurde. In Europa sind etwa 100 solche Abbaustellen bekannt. Sie gehen vor allem auf die Jungsteinzeit (Neolithikum) zurück, die in Europa vor etwa 7000 Jahren begann und vor 4000 Jahren endete, gleichzeitig mit dem Aufkommen der Viehhaltung und des Ackerbaus, und an die sich dann das Metallzeitalter anschloss. Die neolithische Kultur entwickelte sich besonders früh etwa im Gebiet von Jericho (heute in den palästinensischen Autonomiegebieten) und im Zweistromland Mesopotamien (heute Irak).
 
Ein steinzeitliches Strohfeuer findet zurzeit in Wangen bei Olten statt. Davon hörte ich in einer Radiosendung am Samstag, 08.01.2011. Beim Aushub für einen Garagenbau, gegenüber der Bethlehem-Kapelle und nahe beim Wohnheim Bethlehem, stiess man auf ein komplexes Silex-Bergwerk, das am Sonntag, 09.01.2011, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Ich ergriff die Chance zu einem Ausflug in die Vergangenheit, zumal das Bergwerk, das sich auf privatem Boden befindet, Garagen weichen muss, offenbar weil die Solothurnische Kantonsarchäologie nicht genügend Geld hat, um das Grundstück zu kaufen und das Bergwerk zu erhalten, was natürlich kostspielig, aber auch eine touristische Attraktion für Geschichtsliebhaber wäre. Dass es sich hier um eines der wichtigsten steinzeitlichen Feuerstein-Vorkommen handelte, belegt der Umstand, dass in mehreren jungsteinzeitlichen Seeufersiedlungen vom Neuenburgersee bis zum Zürichsee Silex-Werkzeuge aus Olten/Wangen nachgewiesen sind. Die Einebnung ist schon fast ein Akt von Vandalismus. Jammerschade.
 
Das innerhalb von etwa 2 Monaten von rund 7 Archäologen freigelegte Bergwerk befindet sich oberhalb der Durchgangsstrasse an der Gemeindegrenze Olten/Wangen im Gebiet „Chalchofen“ (Kalchofen); ein Busanschluss ist bereits vorhanden ... Das Gebiet ist seit langem als steinzeitliche Fundstätte bekannt, wie in der Dorfchronik „Wangen im Buchsgau“ nachzulesen ist. Das opulente, 688 Seiten starke Werk, das in der Solothurn-Abteilung meiner Bibliothek steht, ist 1975 von August Pfefferli verfasst und von der Bürgergemeine Wangen bei Olten herausgegeben worden. Darin liest man (auf Seite 21) im Kapitel „Prähistorischer Bergbau“: „Schon die Menschen der Mittelsteinzeit, die berühmte Historiker auch etwa ,Hirschzeit’ nennen, fertigten aus Feuersteinen Werkzeuge an. Im Kalkofen stiess man auf einen prähistorischen Bergbau. Der wertvollste Fund nach Grabungen in 1 Meter Tiefe waren die Geweihstücke eines Edelhirsches, die deutliche Bearbeitungsspuren aufweisen. Sie dienten als Hacken, mit denen nach Feuersteinen gegraben wurde. Die unternommenen Forschungen daselbst lohnten sich, denn pro Quadratmeter Fläche ergaben die Grabungen über 50 Feuersteine, darunter faustgrosse Knollen (...) Die Zeit der Ansiedlung ist unter den Geschichtsforschern stark umstritten. Die einen behaupten, dass dieselbe schon 6000 Jahre vor Christus sich ereignet habe, während andere nur auf die Hälfte dieser Zahl kommen. Nach den Fundgegenständen ihrer Zeit zu schliessen, gab es nicht weniger als 4 neolithische Ansiedlungen auf dem Boden von Wangen.“ Hier stand auch tiefgründiges Land für die Anpflanzung von Getreide und Hülsenfrüchten zur Verfügung. Unsere Uraltvorderen pflanzen laut dem Autor Pfefferli, der 52 Jahre als Bürgerschreiber in Wangen tätig gewesen war, sechszeilige Gerste, Rispenhirse und Erbsen.
 
Die kurze Reise an die Dorfstrasse 255 in Wangen am regnerischen Sonntag lohnte sich. Mitarbeiter der Kantonsarchäologie Solothurn hatten Stände mit Tranksame und einigen Schaustücken aufgestellt, darunter 2 menschliche Schädel, die bereits 1970/71 auf demselben Grundstück, ebenfalls beim Neubau einer Garage, geborgen wurden. Laut Lorena Burkhardt stammt der grössere von einer etwa 30 Jahre alten Frau und der kleine von einem Kind. 2 Zahnärzte, die vor allem das Gebiss des Frauenschädels diagnostizierten, stritten sich über die nach hinten abgeschrägten Zähne. War das normal? Ist das auf Sandkörner im Mehl von den Mahlsteinen zurückzuführen, das die Mahlzähne abgeschliffen hat? Irritiert das die Altersbestimmung? Auch das Stück eines Rothirsch-Geweihs und weitere Tierknochen erweckten das Interesse des grossen Publikums, das sich mit heissem Punsch von innen heraus aufwärmen konnte.
 
Zu sehen waren auch einige faustgrosse Feuersteinknollen und Splitter davon, die verschiedenen Zwecken dienen konnten oder einfach Werkstattabfall sind. Der Kantonsarchäologe Christoph Lötscher, im strapazierfähigen Tarnanzug angetreten, zerschlug mit offensichtlichem Steinzeittalent einen Silexstein fachgerecht so, dass sich eine plane Bruchfläche ergab, die das marmorartige Innere erkennen liess.
 
Einer Prozession gleich, allerdings wesentlich langsamer, bewegte sich eine sich immer erneuernde Menschenkolonne auf einem einfach hergerichteten Parcours über das lehmige, teilweise durch Plastikzelte geschützte Ausgrabungsgelände mit den freigelegten, eher weichen Jurakalk-Schichten. Sie sind von einem Höhlen- und Schachtsystem durchzogen, das nur für kleine, hagere Menschen zugänglich war. Die Stollen am Fusse des Hügels sind manchmal kaum 50 cm hoch und gelegentlich noch durch unbearbeitete Kalksteine abgestützt. Schon der Bau dieser Öffnungen ohne Metallwerkzeuge war schwierig. Die Steine wurden manchmal durch Feuer erhitzt, dann mit kaltem Wasser abgeschreckt, so dass sie zersprangen und leichter entfernt werden konnten. Nach einer Auskunft des Archäologen Carmelo Porto wurden ausgebeutete Gänge mit Aushubmaterial von nebenan neu angelegten Gängen aufgefüllt, ein arbeitssparendes Vorgehen.
 
Von der anderen (südlichen) Talseite grüsste der Born mit der ehemaligen Kalkstein-Abbaustelle für die Herstellung von Portlandzement, die man allerdings nicht den Steinzeit-Menschen in die Fellschuhe schieben kann.
 
Sie waren nicht blöd, diese Steinzeit-Menschen, ganz im Gegenteil. Sie lehren uns, dass oft mit einfachen Hilfsmitteln und etwas Grütze im Gehirn – oder war es Rispenhirse? – Phänomenales geleistet werden kann. Das Lehrstück wird nun kartografisch und dreidimensional digital erfasst. Zum bitteren Ende muss die Leistung der Steinzeitler einer banalen Garage, dieser Höhle für mobilgemachte Zivilisierte, weichen. Die Überreste dieses Bauwerks werden in Zukunft keinen Knochen interessieren.
 
 
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