Textatelier
BLOG vom: 21.10.2010

Amerikanische Hegemoniebestrebungen auch im Kultursektor

Autorin: Lislott Pfaff, Schriftstellerin, Liestal BL/CH
                                 
Der Chef der in Bonaduz, Kanton Graubünden, domizlierten US-Technologiefirma Hamilton befand in aller Öffentlichkeit, Rätoromanisch und Italienisch, 2 der schweizerischen Landessprachen, seien bloss noch Folklore und hemmten die wirtschaftliche Entwicklung Graubündens. Immer mehr einheimische Firmen, sagte Andreas Wieland, Verwaltungsrat und Geschäftsführer des amerikanischen Unternehmens, hätten Mühe, qualifiziertes Personal nach Grischun zu locken, dies nicht zuletzt wegen der Verwendung des Rätoromanischen als offizieller Amtssprache. Wieland beklagte sich gegenüber der Zeitung Südostschweiz, die Kinder von Zuzügern müssten in der Schule „Rumantsch“ oder Italienisch lernen statt Englisch.
 
Zum Glück lassen sich die rätoromanischen Bündner von diesem grossmauligen Yankee-Vertreter nicht ins Bockshorn jagen. Der Churer Rechtsanwalt Vincent Augustin, Präsident der Dachorganisation Lia Rumantscha, bezeichnete Wielands Aussagen als Unsinn. Das Bündner Volk habe sich selbst für die heute praktizierte Sprachenpolitik ausgesprochen. Die Muttersprachen des grössten Schweizer Kantons seien nun einmal Deutsch, Rumantsch (Romanisch) und Italienisch. Augustin erwähnte auch den deutschen Philosophen Peter Sloterdijk, der die weltweite Vormacht des Englischen als Kommunikationsrassismus bezeichnet hatte.
 
An der bündnerischen Festa da convivenza (Fest des Zusammenlebens) konnte es der Hamilton-Chef nicht lassen, seine Theorie nochmals zum Besten zu geben. Er wolle nicht bezweifeln, dass Romanischsprechende mehr wissen, aber: „Die Frage ist bloss: Wie kann man dieses Wissen in Wertschöpfung umwandeln?“ Die Replik kam umgehend von Sacha Zala, dem Präsdenten der Vereinigung der Italienischbündner: „Wir sind Menschen, nicht Wertschöpfer. Meine Muttersprache soll im Kanton faktisch liquidiert werden. Da muss ich sagen: Basta!“ – Da kann ich als Baselbieterin nur sagen: Bravo!
 
Wieland, der auch Präsident von Graubünden Ferien ist, sorgte für noch mehr Ärger mit seiner Aussage, als Tourismusförderer nutze er die Minderheitssprachen gern als Werbeträger und fürs Image des Kantons. Um Ferien in Graubünden besser zu verkaufen, lasse er in seiner Werbung Steinböcke Romanisch parlieren. „Als Werbeträger hat das Rätoromanische einen hohen Stellenwert“, räumte er ein. Vertreter der beiden Bündner Minderheitssprachen bezeichneten dies als folkloristische Inszenierungen und als eine Entwürdigung der Rumantsch- und Italienischsprachigen „in der Rolle von Aborigines“.
 
Auch der eidgenössische Minister für Sprachen und Kultur, Didier Burkhalter, will an der Unterstützung der 4. Landessprache Rumantsch festhalten. An der Festa da convivenza sagte Burkhalter: „Die Landessprachen sind Teil unseres kulturellen Erbes und unserer Wurzeln“. Es sei eine „falsche Debatte“, wenn einzelne Sprachen gegeneinander ausgespielt würden. In Zukunft müsse die Jugend möglichst viele unserer 4 Landessprachen sprechen oder zumindest verstehen. Dazu nochmals: Bravo!
 
Im Grunde genommen könnte man die fehlgeleitete Stellungnahme des Vertreters einer einzelnen US-Firma als irrelevant abtun. Aber die Amerikanisierung – auch mentalitätsmässig – der Schweiz ist bereits so weit fortgeschritten, dass eine weitere Ausdehnung der Sprach- und Kulturverschmutzung durch die vermeintliche Weltmacht nicht einfach hingenommen werden kann. Das Dollar-, Markt- und Wertschöpfungs-Denken darf bei uns nicht zu einer neuen Religion verkommen. Deshalb sollten Behörden und Politiker diese Entwicklung im Auge behalten und ihr Einhalt gebieten, wo immer es möglich ist. Hütet euch vor Morgarten! warnten schon die alten Eidgenossen.
 
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