Textatelier
BLOG vom: 13.09.2010

Feinkost-Messe 2010, London: Mit oder ohne Gimmicks

Autor: Emil Baschnonga. Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Die „Speciality & Fine Food Fair” in London ist der Feinkost gewidmet und findet jährlich im September in der geräumigen Ausstellungshalle gegenüber der Olympia-Untergrundstation  statt – eine wahre Olympiade der kleinen und allerkleinsten Delikatessen-Hersteller, die Unterschlupf in Marktnischen  und -lücken suchen. Viele neue Hersteller schiessen, wie es sich nicht nur im Frühling gebührt, selbst im Herbst aus dem Boden. Nur wenige der neugegründeten Familienfirmen werden in diesem heiss umstrittenen Markt Fuss fassen. Sie straucheln, wenn ihre Produkte nicht die richtige Geschmacksnote treffen oder das Marketingkonzept schief liegt. Vielfach fehlt es auch an „flüssigen Mitteln“, denn der Markteinstieg ist kostspielig und erfordert ausserdem viel Geduld und Fachkompetenz. Die Neueinsteiger sind mehrheitlich in kleinen Ausstellungszellen an die Wand gedrängt und werden vom Publikum leicht übersehen.
 
Wie immer und überall ist die Präsentation der Produkte ausschlaggebend: ansprechend verpackt und klar und korrekt beschrieben. Durchwegs betont werden die Beiträge der Produkte zur Gesundheit und zum Wohlbefinden, wobei Schadstoffe aus der Chemie und zweifelhafte Rohstoffe ungewisser Provenienz keinen Platz mehr haben. Für „gimmicks“ (Gags, Spielereien) hingegen ist der Narrenfreiheit noch recht viel Spielraum eingeräumt, wovon einige Beispiele später in diesem Text aufgegriffen werden.
 
Der Einbruch der Rezession treibt mehr und mehr Konsumenten wieder zu Massenprodukten zurück. Deli-Produkte sind traditionell teuer: Viele sind „hand-made“ und „home-made“, also handwerklich gefertigt. 570 Hersteller sind auf dieser Messe vertreten, wovon 55 % Neuankömmlinge. Letztere sind von der Rezession am härtesten bedrängt. Es braucht eine Dosis Wagemut, sich jetzt ins Marktgetümmel zu stürzen.
 
An der letztjährigen Ausstellung ortete ich rund 10 englische Müesli Hersteller, doch diesmal nur einen einzigen. Wer weiss, vielleicht wurden sie von den Schweizer Müesli verdrängt. Ich kann noch immer in der Küche im Handumdrehen ein Birchermüesli zubereiten. Dazu braucht es bloss Milch, Haferflocken, Frischobst und Beeren, Nüsse. Das schmeckt frisch und wunderbar belebend, als Frühstück genossen.
 
Diesmal war der Messe gleichzeitig die „Chocolatefair“ angegliedert, die ein Drittel der Ausstellungsfläche beanspruchte. Meine Frau war voll und ganz mit dabei und blieb als Liebhaberin von Schokolade bei den süssen Ständen „kleben“. Mich drängte es zu den würzigen Produkte weiter. So tummelten wir uns bald auf getrennten Wegen durch die Ausstellung.
*
(1) Einen einzigen Aussteller aus der Schweiz habe ich im Rundgang entdeckt: La Obamas  AG aus Zürich, Hersteller von „Black garlic – the culinary black gold“ (schwarzer Knoblauch – das kulinarische schwarze Gold). Die Knoblauch-Vorteile des Angebots in Pulver, Koblauchzehen, Paste, Saft werden wie folgt hervor gehoben: Gesundheit und Wohlbefinden, Krebsprävention, positive Auswirkung auf Blutdruck, Schutz des Herzens und der Blutzirkulation, mehr Kraft (more power), kein Geruch, 100 % Naturprodukt.
 
Die Inhaltsstoffe pro 100 g: Wasser 53,6 g, Eiweiss, 8,3 g, Fett 0,3 g, Zucker 32,9 g, Nahrungsfasern 3,3 g, Gray Matter (graue Substanzen, Füllstoffe) 1,6 g, Natrium 54 mg, Vitamin D1 0,02 mg, 174 Kalorien.
 
Zur Herstellung des Knollens braucht es Fermentation während eines Monats, bis er schwarz wird und einen süssen Geschmack gewinnt. Gemäss Anzeige sind die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit von über 1000 Studien belegt … Ausserdem wird darauf hingewiesen, dass La Obamas nach einem Schweizer Rezept hergestellt wird. Also doch noch ein Schweizer Produkt …
 
Korrektur: Dem Impressum unter www.laobama.com entnehme ich, dass die Firma in Hong Kong ansässig ist … Und leider kann ich nicht ausknobeln, ob es sich hier um einen „gimmick“ handelt oder nicht.
 
(2) Als Schweizer habe ich eine Vorliebe für Käse und liess mich folglich beim Stand der „Coleeney Farmhouse Cheese“ aus Tipperary, Irland, von Herrn Michael Gaynor aufklären, angelockt von der rassigen Produktanpreisung: „bloody superb  – grassy – wonderfully ripe and full of rich flavours“ (hier frei übersetzt als „ganz herrlich – grasig – wunderbar reif und voller reichen Düfte“). Das Hornvieh, mit oder ohne Hörner, worunter auch Ziegen, grast auf der Weide der Familienfarm und liefert die Milch für u. a. den „Tipperary Brie, Gortnamona (Ziegenkäse), Darù (ein Hartkäse)“. Ich genoss einige Kostproben. Dazu fehlte mir bloss ein Guinness …
 
Natürlich habe ich mich auch bei etlichen anderen Käseständen französischer, italienischer und spanischer Provenienz aufgehalten und verschiedene Käsesorten goutiert. Wirklich: Die Käsewelt ist reich beschickt, auch auf dieser Ausstellung. Ich wurde durstig. Doch gab es auf der Messe keinen Guinness-Ausschank, so kriegte ich schliesslich einen Becher Bier mit Kräuter Düften durchsetzt , das jedoch dem Schweizer Bier nichts anhaben kann.
 
(3) „Trees can’t danse“ (Bäume können nicht tanzen) ist der Markenname für eine Reihe von Chili-Variationen und feurigen Saucen und erst noch einer Chili Konfitüre. Die Chili stammen aus Mexico und der Ausspruch „Bäume können nicht tanzen“ stammt von der indianischen Urbevölkerung.
 
Saucen, Marinaden, Gewürz- und Kräutermischungen aus aller Welt sind hoch beliebt, dank des Siegeszugs der exotischen Kost und in dieser Ausstellung reichlich vertreten. Ich habe mich mit diesen Produkte in meiner Beratungsfirma jahrelang beschäftigt, mich auch diesmal mit etlichen Kostproben eingedeckt, worüber ich vorderhand nichts aussagen kann. Denn auch diese Produkte lassen sich erst bewerten, nachdem man sie gekostet hat, wie etwa die „Vindaloo“-Gewürzmischung, unter dem Markennamen „Seasonal Pioneers“ auf den Markt gebracht. Neue Mischungen werden laufend kreiert. Diese „Vindaloo“ Mischung enthält: geröstete Cayenne Chilis, Kurkuma, Paprika, Senfsamen, Kreuzkümmel, Zimt und Knoblauch.
 
(4) Es muss nicht immer Olivenöl oder Rapsöl sein. Das mit Avocado bereicherte Chiaöl aus Chile reiht sich zu den neuen Produkten und bietet u. a. stark gesundheitsfördernde Omega-3- und Omega-6-Werte. Es wird unter der Marke „Paltita“ vertrieben (siehe unter www.paltita.com). Dieses Öl imponierte meiner Gattin. In der Schweiz kann es bei:
 
Terr & Mer
Route de Bellegarde, 34
CH-1284 CHANCY
E-Mail: terrmer@gmail.com
 
bezogen werden.
 
(5) Obwohl ich persönlich Honig, wie ihn die lieben Bienchen uns bringen, am liebsten ohne Zutaten geniesse, schmeckte mir der von „Mileeven Fine Foods“ unter der „Sarah’s range“ angebotene Honig mit sauren Kirschen, Blaubeeren, Mango etc. gemischt. Dessen ungeachtet bleibe ich dem reinen Honig treu.
 
(6) Auch mit Kaffee und Kaffeebohnen habe ich mich beruflich verschiedentlich beschäftigt. Es brauchte diese Messe, damit ich das „Grumpy Mule“ (mürrisches Maultier) fand – als eine Kaffeesorte. Die Arabica-Bohnen stammen aus Kolumbien, Sumatra, Jamaica unter vielen andern Ländern. „Organic coffee“ und „Fair Trade“ triumphieren heute im Anbau, ohne die Anbauer auszubeuten. Meine Kostprobe hatte nur einen Nachteil: Sie stimmte mich mürrisch, weil der Filterkaffee fade schmeckte.
 
(7) Hier schwenke ich abschliessend ins süsse Thema über, das Lily so wacker verfolgt und genossen hat, und vertrieb mir den Nachgeschmack des „Grumpy Mule“ mit einem dickflüssigen, italienischen Kakao aus dem Gaumen, und zwar mit einen Kakao aus Italien.
 
Zum Teufel! Was ist aus der Tafelschokolade und den Pralinen nicht alles geworden! Das Angebot unter „Rococo Chocolates“ – luxuriös aufgetakelt und entsprechend teuer – befeuert den Wettbewerb zwischen den „Michelin-Chocolatiers“: Einer will den andern mit „gimmicks“ preislich übertreffen. „Pour toi“ heisst die Krönung eines „Artisan Choclatiers“, ohne Gluten, Milch, Nüsse, Lactose, Konservierungsmittel. Wer bezahlt diese „Unique Chocolate Experience“? Gewiss nicht ich. Vor einem halben Jahr, so erinnere ich mich, entfloh ich dem „Hôtel Chocolat“ – dieser Confiserie an der High Street Kensington. Die kleinste Packung enthielt 3 Pralinen und kostet ein Vermögen. Auf diesen „Rococo“-Zauber verzichte ich. Da lobe ich mir ein pikantes Stück Appenzeller!
 
(8) Meine Perserin Lily entdeckte „Persis Ltd.“, ein Hersteller von Baklava aller Sorten. Lily behauptet felsenfest, dass es keine besseren Baklava gibt, als jene von Persien. Und diese Baklava werden ausgerechtet in Wembley (London) hergestellt und sind den persischen ebenbürtig, was kein Wunder ist, denn ein Perser ist ihr Schöpfer. Nach 5 Minuten plauderten sie auf „farsi“ weiter. Grosszügig überreichte ihr der Inhaber eine Baklava-Auswahl. Er hat in Lily eine neue Kundin gewonnen. Unter www.persisuk.com wird die Geschichte dieser Leckerbissen aus der Antike ausgerollt. Inzwischen zehren wir noch an Spezialitäten, die Lily und unsere Söhne während ihres diesjährigen Aufenthalts im Iran, genauer in Isphahan, der Hochburg persischer Süssigkeiten, gekauft hatten.
 
Hinweis auf weitere Blogs über Lebensmittelmessen
27.10.2005: ANUGA: Achtung Nahrung und Genuss -- Abstand halten
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst