Textatelier
BLOG vom: 29.08.2010

Obama-Stilbruch 28: Das frei erfundene Ende des Irakkriegs

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Die Meldung war überzeugend: Am Mittwoch (18.08.2010) haben die letzten amerikanischen Kampftruppen den Irak verlassen, 2 Wochen vor dem vorgesehenen Termin Ende August. Die verbleibenden rund 50 000 Soldaten, die überwiegend mit Aufgaben der Sicherheit und der Ausbildung von Irakern beschäftigt sind, sollen nach Vereinbarungen zwischen Washington und Bagdad bis Ende nächsten Jahres ebenfalls abziehen.“ Die NZZ meldete das am 20.08.2010, und der übrige Medienmainstream verkündete dasselbe. Mit dem 4th Stryker Brigade Combat Team sei die letzte Kampfeinheit abgezogen, erfuhr man noch. Selbst als kritischer Leser war man auf und dran, das alles zu glauben, zumal wir ja von Kindsbeinen an zum Glauben (statt zum Denken) erzogen worden sind. Bei genauerem Hinsehen würde man eindeutig erkennen, dass im Irak weiterhin US-Kampftruppen, darunter befinden sich 2 Kampfeinheiten der Luftwaffe, stationiert sind und der Krieg alles andere als beendet ist.
 
Laut einem Bericht der Army Times vom 21.08.2010 („Combat brigades in Iraq under different name“) befinden sich noch 7 Kampfverbände im Irak, was Obama verschwiegen hat. Der faule Trick bestand einfach darin, diese in „Advise and Assist Brigades“ (beratende und helfende Brigaden) umzunennen oder in solche zu integrieren.
 
Der demokratische US-Abgeordnete des Repräsentantenhauses, Dennis Kucinich, verglich Obamas Abzugsinszenierung treffend mit jener von George W. Bush, als dieser, die verkörperte Glaubwürdigkeit, im Mai 2003 unter dem hochtrabenden Namen „Mission Accomplished“ (Auftrag erfüllt) vom Ende der grösseren Kampfhandlungen faselte (benützte Quelle: www.heise.de). Über 100 000 US-Söldner sind vom Abzug ohnehin nicht betroffen. Kucinich spricht von einer Orwellschen Lüge, eine zynische Begriffsverdrehung. Eine Parallele zum Hinweglügen der katastrophalen Verschmutzung des Golf von Mexiko mit Erdöl durch Obama.
 
Differenziert und distanziert tönte es am 25.08.2010 auch bei www.focus.de: Gemäss einem Vertrag zwischen Washington und der irakischen Regierung sollen auch die letzten US-Truppen das Land bis Ende 2011 verlassen. Bis dahin sollen sie die irakische Armee unterstützen und ihre Soldaten ausbilden. Kampfeinsätze der US-Armee ohne die Iraker soll es nicht mehr geben. Die einzige Region, die am Mittwoch (25.08.2010) von Terroranschlägen verschont blieb, war das kurdische Autonomiegebiet im Norden. Dort sorgen ehemalige Kämpfer der kurdischen Parteimilizen für Sicherheit.“ Das heisst doch, dass die Amerikaner weiterkämpfen werden, allerdings angeblich immer zusammen mit einheimischen Soldaten. Somit sind nicht alle Kampftruppen aus dem Land gezogen, das nach dem rund 7 Jahre langen Wüten, Zerstören und Morden der Amerikaner und ihrer Helfershelfer destabilisiert und weitgehend verwüstet ist; die Wasser- und Stromversorgung kann man vergessen; über die diesbezüglichen Demonstrationen hüllen sich die Westmedien in Schweigen. Die Industrie ist zertrümmert. Durch all dies ist der Terrorismus gefördert worden, eine logische Folge. Dass am US-Krieg eigentlich alles falsch gemacht wurde und falsch lief, gehört heute zum politischen Allgemeinwissen.
 
Die „Nürnberger Nachrichten“ schrieben im Klartext: „George W Bush hatte damals versprochen, die Welt würde durch den Sturz von Saddam Hussein ein besserer Platz. Das Gegenteil ist richtig. Die völkerrechtswidrige Invasion hat den Planeten noch unsicherer gemacht. Der islamistische Terror ist nicht ausgemerzt, sondern geradezu genährt worden. Auch Demokratie ist keineswegs in den Nahen Osten exportiert worden."  Heute sei diese brandgefährliche Region instabiler denn je. Für das Blatt hätte es eine Alternative gegeben: „Wäre auch nur ein Bruchteil der aberwitzigen Milliardensummen in langfristige weltweite Entwicklungshilfe gesteckt worden, sähe die Welt heute besser aus. Von den zahllosen unschuldigen Todesopfern, die der Krieg und der religiös verbrämte Terror auch zwischen Schiiten und Sunniten gefordert haben, ganz zu schweigen." 
 
Tatsächlich: Der auf Lügengebilden aufgebaute Krieg war dumm, kontraproduktiv, ein weiterer verlorener USA-Krieg, ein weiteres von den USA sinnlos zerstörtes Land. Jetzt ist der Iran auf der Abschussliste; Israel fördert die dazu gehörende Kriegsstimmung. Die Situation dafür ist günstig: Das Abzugstheater verlegte sich über den Grenzübergang Chabari nach Kuweit. Werden die US-Truppen dort, nahe bei Iran und Irak, untätig herumschnorcheln? Kuwait ist ein idealer Startplatz für neue Kampfhandlungen, auch für eine Rückkehr in den Irak, das benachbarte Land. Man wird diese Verlegung gut im Auge behalten müssen.
 
Eine verantwortliche Regierung konnte im Irak noch nicht gebildet werden, und auf die Armee ist kein Verlass; es ist unmöglich, dass die Milizen die desolaten Zustände in Griff bekommen können. Kaum waren die Schalmeien über den Abzug der guten Amerikaner verklungen, blühten denn auch tatsächlich Anschlagsserien auf: Die DPA sprach von einer „verheerenden Terrorwelle“, ein Hinweis darauf, dass die Lage nach wie vor ausser Kontrolle ist, und mag die US-Regierung noch so sehr eine „Zunahme der Stabilität“ herbeilügen; Obama sagte am 27.08.2010, die US-Soldaten hätten den Irak und die USA sicherer gemacht und mitgeholfen, die Demokratie einzuführen. Dies geschah wenige Stunden vor der Ausrufung der höchsten Terroralarmstufe im Irak durch Ministerpräsident Nuri al-Maliki. Die Sicherheitskräfte hätten Informationen darüber, dass al-Qaida im Irak und Mitglieder der verbotenen Bath-Partei des früheren Machthabers Saddam Hussein Anschläge planten, sagte er. Streitkräfte und Polizei seien in Alarmbereitschaft. Al-Maliki rief zugleich die Bevölkerung zur Wachsamkeit auf. Die meisten Toten gab es am 25.08.2010 in der Stadt Al-Kut südlich von Bagdad: mindestens 20 und 90 Verletzte. Weitere Anschläge ereigneten sich in Nord-Bagdad, in der Schiiten-Stadt Kerbela, in Basra, Ramadi, Falludscha, Dudschail, al-Makdadija, Kirkuk, Mossul und Bakuba.
 
Der so genannte Truppenabzug war dazu angetan, ein Wahlversprechen von Barack Obama zu erfüllen und die total misslungene „Operation Iraqi Freedom“ als beendet zu erklären. Obama hatte damals von einem „vollständigen Truppenrückzug" gesprochen, die inzwischen auf Kampftruppen reduziert wurden, und nicht einmal diese eingeschränkte Formulierung stimmt.
 
Aber selbstverständlich nur verbal. Die Waffen sprechen weiter, in einer vollkommen anderen Sprache als die Politiker. Wie bei Orwell. Es gilt, Yes zu allem zu sagen, was im Namen des Grossen Bruders geschieht. Und Dichotomien haben im politischen Alltag Hochkonjunktur – die Gliederung eines Oberbegriffs in einen darin enthaltenen Begriff und dessen Gegenteil (Duden): unschön.
 
So schwingt selbst im Hässlichen das Schöne immer noch mit. 
 
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