Textatelier
BLOG vom: 25.06.2010

Fussball-WM (4): Hohn und Spott, deutsche Kriegsführung

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Mir geht es sehr schlecht, mein Herz ist zerrissen“, klagte eine junge Römerin gegenüber einem ZDF-Reporter nach der Niederlage von Italien gegen die Slowakei (2:3) und dem Ausscheiden der Azzuri. Als Tabellenletzter mussten sie die Heimreise in ihr ehemaliges glorreiches Fussballland antreten. In der Tat schickte Trainer Marcello Lippi laut „Spiegel Online“ (25.06.2010) eine „Altherrentruppe ohne Esprit“ auf das jeweilige Fussballfeld.
 
Der verletzte Stammtorhüter Gianluigi Buffon, der auf der Ersatzbank Platz nehmen durfte, hat den Zustand seiner Mannschaft richtig erkannt und die letzten 3 Spiele Revue passieren lassen, indem er sagte, wenn man 3 Spiele gegen vermeintliche leichtere Gegner nicht gewinne, wäre es vollkommen verdient, wieder nach Hause zu fahren.
 
Die italienische Presse war ganz aus dem Häuschen, aber im negativen Sinn. Der „Corriere della Sera“ berichtete: „Lächerliches Italien, blutleer, desaströs und ohne Zukunft“, und die „Repubblica“ erklärte: „Wenn wir uns qualifiziert hätten, wäre es ein Diebstahl gewesen. Ein Spiel schlimmer als das nächste. Die hässlichsten Azzuri aller Zeiten. Unsäglicher als das 0:1 gegen Korea 1966.“
 
Es wird insbesondere an der Zusammenstellung des Kaders und an den taktischen Konzepten Kritik geübt. Auch die Zukunft des italienischen Fussballs sieht nicht gerade rosig aus. Es gab nämlich bisher nur eine ungenügende Nachwuchsförderung; aber auch die jungen Kicker wiesen keine internationale Qualität auf. Da rächt sich jetzt, dass in den Clubmannschaften zu viele Ausländer spielen und die einheimischen Kicker kaum Spielpraxis erhalten. Dazu ein Beispiel: Als Inter Mailand 2010 gegen den FC Bayern München den UEFA Champions League-Pokal mit 2:0 gewann, stand im Kader nur ein Italiener. Heute ist es so, dass die reichen Clubs alle möglichen Spieler aus anderen Vereinen und Ländern zusammenkaufen. Eine ungute Entwicklung.
 
Nun soll ein neuer Coach, der Cesare Prandelli heisst, für frischen Wind sorgen. Die Mannschaft kann sich in der Qualifikationsrunde zur EM 2012 bewähren.
 
Nach dem Aus der Azzuri holten die meisten italienischen Fans in meinem Wohnort Schopfheim D ihre Fahnen ein. Die stolz präsentierten Fahnen an den Autos wurden entfernt. Der Unmut ging nicht so weit, dass die Besitzer ihre Fähnchen verbrannt haben, wie das in anderen Ländern schon passiert ist. Sie brauchen die Fahnen vielleicht schon wieder bei der EM 2012, die in Polen und in der Ukraine stattfindet.
 
Im Haus gegenüber von meinem Domizil wurde die im 2. Stock hängende, übergrosse italienische Fahne nach dem verlorenen Match sofort eingeholt. Auf dem Balkon einer anderen Wohnung grüssten schon seit Beginn der WM 2 Fahnen, eine grössere italienische neben einer kleinen deutschen Fahne, zu uns herüber. Ich wunderte mich, warum 2 unterschiedliche Fahnen nebeneinander zu sehen waren. Die Aufklärung folgte durch meinen Nachbarn: Dort ist nämlich ein Italiener mit seiner deutschen Freundin zu Hause.
 
„Jetzt wartet die deutsche Kriegsführung“
Nachdem Deutschland gegen Ghana mühevoll mit 1:0 gewonnen hatte, war klar, dass die deutsche Mannschaft nicht gegen die USA, sondern gegen England am 27.06.2010 im Achtelfinale (hier sind 16 Mannschaften vertreten) spielen muss. Ich hätte mir die USA als Gegner gewünscht, zumal diese Mannschaft schwächer eingestuft wird. Auch hätte die US-Presse wohl kaum über deutsche Kriegsführung und Panzer berichtet, zumal sie ja ihre eigenen Vorstellungen dazu haben und sowieso alles besser wissen.
 
Ein Blick in die englischen Zeitungen ist immer interessant. Nachdem die deutsche Mannschaft als Gegner feststand, überschlug sich die dortige Presse und rief Erinnerungen an die deutsche Kriegsführung wach. So schrieben die Redakteure vom „Guardian“: „Capellos Mission ist erfüllt – jetzt wartet ein alter, gut bekannter Feind.“
 
Anmerkung: Der Italiener Fabio Capello ist Coach der englischen Nationalmannschaft.
 
„Defoe bringt die ,Three Lions' ins Achtelfinale  – jetzt wartet die deutsche Kriegsführung“, berichtete „The Sun“.
 
In der spanischen „Marca“ war dies zu lesen: „Das Kreuz des Todes: Deutschland gegen England.“
 
Warten wir einmal ab, wer am Sonntag, 27.06.2010, gewinnen wird. Sollte die deutsche Nationalmannschaft siegreich sein, wird die englische Presse so titeln (wie das schon in Vergangenheit geschah): „Deutsche Panzer überrollten uns.“ Siegen die Engländer, werden die Schlagzeilen kaum auf die Titelseiten passen. Vielleicht lesen wir dann: „Deutsche vernichtend geschlagen.“
 
Die italienische Zeitung „La Stampa“ konnte sich diesbezüglich nach dem Sieg der Deutschen gegen Australien (4:0) nicht zurückhalten und vermeldete: „Ein multiethnischer Panzer mit vortrefflichen Füssen.“
 
Anmerkung: Mesut Özil, der das goldene Tor gegen Ghana geschossen hat, ist Deutsch-Türke. Er hat sich für die deutsche Nationalmannschaft entschieden. Gerne wollten ihn die Türken in ihre Mannschaft integrieren.
 
Und die französische Zeitung „ Libération“ schrieb: „Die Deutschen überrollen alle, mit Özil, der nach allen Seiten Raketen abschiesst.“
 
Betrachten wir einmal weitere verbale Ergüsse.
 
„Schiri, du Kamel“
Nachdem die Schweizer durch merkwürdige Entscheidungen des saudischen Schiedsrichters Khalli Al Ghamdi  mit 0:1 gegen Chile unglücklich verloren hatten, geriet sogar der sonst ruhige Trainer Ottmar Hitzfeld (er wird ehrfürchtig „Gentleman“ bezeichnet) in Rage.
 
Die Schweizer Presse hielt sich dann ebenfalls nicht zurück. Hier ein kleine Auswahl an Satzergüssen bzw. Schlagzeilen: „Schiri, du Kamel“ („Blick“), „Der saudische Schiedsrichter hatte die Karten so locker wie ein Revolverheld seinen Colt“ („Tagesanzeiger“).
 
„Die Entscheidung ist ein Witz“, befand „Blick“ die vom Referee gezogene Rote Karte gegen den Schweizer Valon Behrami in der 31. Minute. In 3 Spielen vor der WM zog der farbenverliebte Schiedsrichter 5mal Rot und 18mal Gelb.
 
Insgesamt werden die Schiedsrichterleistungen teilweise heftig kritisiert. Schuld daran ist in meinen Augen auch die Fifa, die 3 Jahre vor einer WM schon die Pfeifenmänner nominiert. Wenn sich in dieser Zeit andere Referees mit guten Leistungen hervortun, ist das der Fifa Schnuppe. Die Nominierten können dann durchaus schlechte Leistungen an den Tag legen. Man sollte die Praxis der Fifa schleunigst ändern und nur die aktuell besten Schiedsrichter zur WM schicken.
 
Die zahmen Löwen
Einige Zeitungen befassten sich auch mit dem 2:1-Sieg der Dänen gegen die Kameruner. Im „Cameroon-Info“ (Kamerun) war dies zu lesen: „Die Löwen nehmen die Tür. Mit der Klinge am Hals müssen sich die unzähmbaren Löwen der Erfahrung der Dänen beugen.“ Auch die „Sunday Times“ (Südafrika) ging mit den Kamerunern wie folgt ins Gericht: „Dänemark zähmt die Löwen. Die unzähmbaren Löwen haben sich in Schmusetieger verwandelt.“
 
In der dänischen Zeitung „Ekstra Bladet“ waren folgende euphorische Sätze zu lesen (kaum zu glauben, auf welche Wortkonstruktionen und Metaphern die Redakteure kommen): „Die Rakete ist explodiert; Dennis Dynamite! Dennis Rommedahl hat seinen Torriecher wiedergefunden und Dänemark zurück ins Spiel gebracht. Das war das beste WM-Spiel seines Lebens. Wir werfen uns vor ihm in den Staub, wir vergeben ihm alles! Wir leben!“
 
Im 3. Spiel gegen Japan war die Euphorie wieder verflogen. Auch die hochgejubelten Kicker aus Dänemark waren am Boden zerstört. Sie verloren nicht nur gegen Japan mit 1:3, sondern mussten sich aus dem Turnier verabschieden. Zu früh gejubelt, dachte ich mir.
 
Feuer unterm Dach
Nach dem erbärmlichen Auftreten der französischen Nationalmannschaft hatte die Presse vernichtende Urteile zu vermelden. Sie hielten sich nach der abschliessenden 1:2-Niederlage mit Hohn und Spott gegen Gastgeber Südafrika nicht zurück.
 
Der Abstieg aus der Weltfussballelite war für alle ein Schock. Aber er war nach den Streitereien unter den Spielern und den verbalen Äusserungen von Nationalstürmer Nicolas Anelka gegen den Trainer Raymond Domenech zu erwarten gewesen. Es war also Feuer unterm Dach der französischen Nationalelf. Über das Verhalten der Kicker war sogar Staatspräsident Nicolas Sarkozy bestürzt, und er bezeichnete den verbalen Ausrutscher als inakzeptabel.
 
Anelka musste nach den obszönen Äusserungen vorzeitig die Heimreise antreten, etwas später auch die französische Nationalmannschaft.
 
„Le Parisien“ dazu: „Es ist eine apokalyptische Fussball-WM 2010, die in Hoffnungslosigkeit und als Alptraum zu Ende gegangen ist. Frankreich ist nicht bereit, den Spielern zu verzeihen.“
 
„L´Equipe“ bezeichnete das Desaster gar als „das Ende der Welt“ und man solle doch die Leute nicht für dumm verkaufen, das könne sogar amüsant sein. „Aber man muss wissen, wann man damit aufhören sollte. Die Regierung muss nun ihren Weg zu Ende gehen, damit der französische Fussball-Verband nicht mehr in den Händen von Hampelmännern ist.“
 
Andere Zeitungen bezeichneten die Nationalmannschaft als die Lachnummer der ganzen Welt und die Funktionäre, Spieler und den Trainer als „Bande von traurigen Trotteln, die ein Trümmerfeld hinterlassen haben.“
 
Dazu muss man sagen, dass auch der Fussball-Präsident Jean-Pierre Escalettes Schuld an der Misere hat. Er hielt am Trainer trotz der im Vorfeld der WM gezeigten schwachen Leistungen, fest. Der Trainer war nicht bei allen Spielern und Fans beliebt. Und das kann nicht gut gehen.
 
In „Härringer´s Spottschau“ in der „Badischen Zeitung“ vom 24.06.2010 wurden die Vorkommnisse in der französischen Nationalmannschaft von Christoph Härringer grandios auf die Schippe genommen. Auf einer Zeichnung ist ein Flugzeug zu sehen. Im Flugzeug sitzen die französische Nationalmannschaft, der Trainer und Funktionäre. Auf den Sprechblasen sagt der Pilot: „Mon Dieu. Erst der Prolet, der alleine heimflog und uns stundenlang beleidigte und jetzt das.“ Er beauftragte eine Stewardess, die Passagiere zu bewegen, damit sie sich gleichmässig im Jet verteilen. Die Stewardess versucht alles, aber es gelingt ihr nicht. Sie kehrt zurück und sagt zum Piloten: „Die Spieler wollen partout nicht auf der gleichen Seite sitzen wie der Trainer.“
 
Wir können jetzt nur hoffen, dass verbale Entgleisungen ausbleiben, die Schiedsrichter besser werden und die restlichen Spiele fair über die Bühne gehen. Ich werde weiter über die WM berichten.
 
 
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