Textatelier
BLOG vom: 13.05.2009

Obama-Stilbruch 19: Von Sündenböcken und von Sündern

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Die Verluderungserscheinungen in Politik, Wirtschaft und Finanzwesen nehmen dramatisch zu. Der Zeitgeist spielt beflügelnd mit: Man wolle keine Sündenböcke suchen und bestrafen, hört man allenthalben, auch von drüben, aus den USA. Das ist schon Recht: Die kreative alttestamentarische Idee der Schaffung eines Sündenbocks (3 Mose 16, 21 f.), wonach alle Sünden auf einen unschuldigen, moralisch untadeligen Ziegenbock abgeladen und dieser in seinem unsäglichen Elend in die Wüste gejagt wird, ist nicht nur vom tierschützerischen Standpunkt aus verwerflich, sondern obendrein ein Blödsinn der höheren Art. Man kann und soll ja nicht in feiger Art seine Schuld (auch nicht seine Schulden) auf andere Lebewesen abwälzen, wie dies zum Beispiel die bankrotten Amerikaner ständig tun. Wir wissen seither, wie unangenehm ein Leben ist, das mit den Schulden von Anderen beladen und belastet ist.
 
Sündenböcke sind eine antiquierte Ausprägung aus geistig verwirrten biblischen Zeiten. Man vergisst diese Idee am besten. Statt um sie ginge es vielmehr um die Sünder, die zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden müssten. An solchen besteht keinerlei Mangel. So liess, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, das George-W.-Bush-Regime Gefangene systematisch foltern. Zur Anwendung kamen 12 Methoden, die im Folter-Memorandum aus dem US-Justizministerium detailliert beschrieben sind und das mit dem Vermerk „Top Secret“ versehen war:
 
Ein Häftling kann maximal 11 Tage des Schlafs beraubt werden. Das kalte Wasser, mit dem die Gefangenen abgespritzt werden, darf 5 °C nicht unterschreiten (wahrscheinlich um das Gefrieren zu verhindern). Auch ist das bei den Amerikanern so beliebte simulierte Ertränken, das berühmte „Waterboarding“, mit einer exakten Gebrauchsanweisung versehen, bis hin zur Wassermenge, die dabei dem Gequälten in Mund und Nase geschüttet werden darf, um in Verhören genau jene Antworten zu erhalten, welche die Peiniger herauspressen wollen.
 
Laut dem Schönredner Barack Obama, dem viel versprechenden und wenig haltenden neuen US-Präsidenten, gehen die CIA-Mitarbeiter, die „im guten Glauben“ nur Anweisungen befolgt haben, straffrei aus. Aber was geschieht denn mit jenen, welche die Anweisungen gaben? Auch nichts. Obschon laut dem Uno-Sonderberichterstatter und österreichischen Juristen Manfred Nowak die Signatarstaaten der Uno-Konvention gegen die Folter eigentlich verpflichtet wären, Folterer vor Gericht zu stellen. Doch auch Rahm Emanuel, Obamas Stabschef, hat den Autoren der Folter-Memos öffentlich Straffreiheit zugesichert. Die Bush-Methoden gedeihen somit weiter. Selbstverständlich passiert auch jenen US-Militärs nichts, die in Afghanistan „irrtümlich“ gelegentlich gruppenweise Zivilisten umbringen, manchmal über 100 aufs Mal.
 
Im Finanzwesen herrschen ähnliche Zustände: Wie mit den Missmanagern, die mit Millionenhonoraren vergoldet wurden, passiert auch mit den Rankingagenturen nichts, welche die Unternehmen nach Lust, Launen und eigenen Interessen falsch bewerteten. Nichts passiert ferner mit den Manipulatoren Geld-Trusts, des von privaten Bankiers kontrollierten Federal-Reserve-Systems (Fed), das sich als US-Zentralbank ausgibt, und all den Mittätern, welche die gravierendste Wirtschaftskrise der Menschheitsgeschichte herbeigeführt haben. Darunter sind laut F. William Engdahl im neuen Buch „Der Untergang des Dollar-Imperiums“ (Kopp-Verlag 2009) die Hauptverantwortlichen Bankhäuser wie J. P. Morgan Chase, Citibank, Lehman Brothers, Goldman Sachs und Morgan Stanley. Die Finanztäter wurden mit Nobelpreisen beehrt und werden nun durch Milliardenbeträge, welche in den nächsten Jahren als Steuern aus der Allgemeinheit herausgepresst werden müssen, für ihr wirtschaftskriminelles oder trottelhaftes Verhalten belohnt. Zu diesem Zwecke werden mässig Reiche, der Mittelstand und die Arbeitnehmerschaft vollkommen ausgenommen, geplündert. Obama arbeitet hart an der Umverteilung nach oben. Die grosszügig ausgestreuten Milliarden dienen zur Rettung eines Systems, das mit dem besten Willen nicht mehr zu retten, aber immerhin noch in der Lage ist, die Realwirtschaft und das Wohlergehen der Völker in allen Ländern in den Abgrund zu ziehen, ihnen einen nachhaltigen, ja dauerhaften Schaden zuzufügen.
 
Wie gesagt: Wir brauchen keine Sündenböcke, aber die Sünder müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Die spesengeilen englischen Politiker, inklusive der Premierminister und Steuer-Saubermann Gordon Brown, der seine Privatputzfrau aus Staatsmitteln entlöhnte, werden in England wenigstens mit Hohn und Spott eingedeckt und müssen die von ihnen für die Finanzierung von Pornofilmen, der Pferdepflege und das Auswechseln von Glühbirnen gestohlenen öffentlichen Gelder zurückerstatten.
 
Nur aus der Umgebung des blütenweissen Obama-Hauses in Washington hört man, es sei jetzt nicht die Zeit, „in den Rückspiegel zu schauen“; so jedenfalls liess sich die demokratische Senatorin und Parteikollegin Obamas, Claire McCaskill, vernehmen. Und der neue Präsident erklärte, als er dem CIA den Hof machte, höchstpersönlich, Amerika dürfe im jetzigen „Moment gewaltiger Herausforderungen und beunruhigender Uneinigkeit“ weder Zeit noch Energie darauf verschwenden, über die Vergangenheit zu richten (Standing Ovation). Man müsse „Fehler einräumen“ und „voranschreiten“, sagte der Präsident. Abgetakelte Bush-Minister wie Alberto R. Gonzalez (Justiz) oder Donald Rumsfeld (Verteidigung) sowie Vize Dick Cheney dürften aufgeatmet haben, als sie dies hörten, wobei sich selbstredend US-Amerikaner alles ungestraft erlauben dürfen. Dazu gehören selbst Plünderungen im Rahmen militärischer und wirtschaftlicher Kriege, wenn immer es nur im Entferntesten den nationalen Interessen zu dienen scheint. Deshalb bleiben auch die Mittäter-Medien, geübt im Aufblasen von Blasen und Erzeugen von Panik, wenn's dem Umsatz dient, ungestraft, es sei denn durch Abonnementsabbestellungen von wachen Konsumenten.
 
Mit den Argumenten, wie sie Obama verkündet, könnte man jeden Mörder, jeden Kinderschänder, jeden Dieb, jeden Strassenraser usw. ungestraft laufen oder rasen lassen, und sämtliche Gefängnisse müssten im Sinne einer Gleichbehandlung sofort geleert werden. Oder bewahrheitet sich gerade wieder einmal die alte Redensart, wonach nur die Kleinen aufgehängt werden? Lässt sich auf solch eine Weise das in kleinste Trümmer, ja zu Staub zerschlagene Vertrauen in Politik und Finanz wieder zusammensetzen? Was sind denn das für Signale, wenn Unrecht straffrei bleibt, wenn es zu Recht wird und am Ende noch Belohnungen erhält? Die Rechts-Pervertierungen sind im Moment grenzenlos, global eben.
 
Doch das alles ist nur noch der wahrscheinlich letzte hilflose, durchschaubare Versuch, noch einige Restbestände der neoliberalen Globalisierung über die Runden zu bringen und das Ende des „Amerikanischen Jahrhunderts“ um ein paar Wochen hinauszuschieben, ein Spiel auf Zeit, um Zeit. Dazu dienen auch die lächerlichen buchhalterischen Tricks wie etwa durch eine Höherbewertung der Schrottpapiere, die zu glänzenden Bankabschlüssen verhilft, und die beschönigenden Banken-Stresstests (Fed: „verlässlicher Indikator“) mit den optimistischen, unrealistischen Bankengewinnschätzungen und heruntergespielten Ausfällen bei Anleihen, die dazu dienen sollen, das Ansehen der Banken und das Vertrauen wenigstens bei einigen Unbelehrbaren wiederherzustellen. GM-Manager stossen ihre Aktien ab, währenddem neue vertrauensvolle Anleger gesucht werden.
 
Wie beim Aufbau der Hypo-, Kreditkarten- und Schuldenkrisen wird die Finanzwelt jetzt wieder in einen neuen euphorischen Taumel gerissen – mit dem Motivationstrainer Obama an der Spitze, der zerfallende Institutionen mit Milliarden, die es nicht gibt, untermauert. Und wieder fallen die Systemmedien voll auf all die Manipulationen herein – Übung macht den Meister.
 
Und wenn dann alles eingestürzt sein wird, wechselt man einfach den Chief Executive Officer (CEO) aus – wie gerade den Kriegsherrn in Afghanistan. Nachdem die US-Army mit Nato-Unterstützung den Kampf gegen die Taliban im „Totenacker der Imperien“ („Graveyard of Empires“), wie die Engländer sagen,verloren hat, wird der bisherige US-Kommandant, David McKiernan, durch den gerade überschwänglich gelobten Stanly McChrystal, kurzzeitig Kommandant des „Joint Special Operations Command“ (JSOC) in Fort Bragg, ersetzt. Das JSOC wurde am US-Fernsehen mit der Serie „E-Ring – Military Minds“ verherrlicht. Der Friedensengel Obama will die US-Truppen am Hindukusch um 21 000 Mann verstärken. Schliesslich lebte ja auch Hollywood von Übertreibungen.
 
Immer dasselbe Strickmuster: Mehr Geld für abgetakelte Unternehmen, mehr Soldaten (und Geld) für verlorene Kriege. Die schöne Obama-Wahlrhetorik verliert sich im Bombennebel und Pulverdampf. Doch für solche Fehlentscheidungen wird mit Ausnahme der Bombenopfer und der blutenden Zivilbevölkerung in aller Welt – in Pakistan ist wegen der US-Forderung nach einer intensivierten Kriegsführung laut Uno soeben eine „humanitäre Krise“ ausgebrochen – niemand bestraft werden.
 
Wir müssen nur vorwärts schauen und dürfen dafür zahlen, zahlen und zahlen. Die Diebe, die leere Staatskassen zu alimentieren haben, kriechen aus allen Schützengräben hervor, haben es auf Schweizer Banken und Indianer aller Stämme abgesehen. Soeben werden die Credit Suisse und die Deutsche Bank in den USA wegen der gescheiterten Übernahme des US-Chemiekonzerns Huntsman durch eine Tochter des Finanzinvestors Apollo Management auf einen Schadenersatz in Milliardenhöhe verklagt. Die Tradition der US-Raubzüge bis hinein in die Ewigen Jagdgründe dürfte angesichts der zunehmenden Geldverschleuderungen noch zunehmen.
 
Aus solchen und anderen Gründen sieht es in der Zukunft noch weniger gut aus. Neben den Papieren, welche die USA der Welt angedreht haben, ist offensichtlich noch manch anderes faul, mit Sünden behaftet. Es gäbe gar nicht genug Ziegenböcke auf dieser Erde, wollte man alles auf diese abladen.
 
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