Textatelier
BLOG vom: 14.04.2009

Rheinfelden AG: Geschichten aus Geschichte und Jetztzeit

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Rheinfelden (Aargau): Feldschlösschen-Bier (und einst auch Cardinal). Rheinfelden: eindrückliche Altstadt (älteste Zähringerstadt der Schweiz, seit 1130). Rheinfelden: Wuhrmann-Zigarren. Rheinfelden: Solebad. Rheinfelden: Rhein, geknickte Rheinbrücke, Rheinkraftwerk (neues im Bau). Sogar eine eigene Zeitung, die „Neue Fricktaler Zeitung“ aus der Buchdruckerei Herzog, ist der Gemeinde und seiner Umgebung erhalten geblieben. Und so weiter. Erstaunlich, was sich hier, im Schatten von Basel, alles entwickelt hat. Ich möchte hier den Versuch starten, einige Spezialitäten an die Sonne zu zerren.
 
Salz
Mein persönliches Rheinfelden ist wesentlich differenzierter, hatte ich doch früher dort einige journalistisch bedingte Einsätze, vor allem rund ums Thema Salz, dem „weissen Gold“. Dessen Vorkommen ist im Raume Rheinfelden seit dem 18.05.1836 bekannt, als Carl Christian Friedrich Glenck (1779–1845), ein rastloser Unternehmer aus Deutschland, beim Roten Haus am Rhein bei Muttenz BL in 107 m Tiefe erstmals Sole erbohrte; dort stellte er ein 7 m dickes Salzlager fest. Die erste Saline am Rhein erhielt bei ihrer Einweihung am 07.06.1837 den Namen Schweizerhalle. Das Salz aus den nahen Salinen Riburg und Schweizerhalle, die mit Ausnahme der Waadt noch heute die ganze Schweiz mit Salz versorgen, erlaubte Rheinfelden, zum Solbadkurort zu werden: 1846 erhielt der „Schützen“-Wirt in Rheinfelden als Erster die Konzession zur Verabreichung von Heilbädern, und andere Gasthöfe (selbst solche im benachbarten Möhlin) liessen sich davon inspirieren. Oberhalb des Städtchens entstand das Rheinsolebad, das als „Hôtel des Salines“ zum grössten und vornehmsten Hotel in Rheinfelden wurde. Gäste aus aller Damen und Herren Ländern fanden sich hier ein, um Gesundheit und Vergnügen zu suchen und zu finden.
 
Altstadt-Kuriositäten
Das Rheinfelder Leben und seine Geschichte sind also nicht versalzen, sondern mit liebenswerten Besonderheiten zusätzlich reich gewürzt, vor allem die mittelalterliche Altstadt, die von einer noch gut erhaltenen bzw. restaurierten Stadtmauer umgeben ist. Darin sind das Rathaus als bedeutendster Bau mit dem Turm aus der Zähringer Zeit (1225 erstmals erwähnt und nach einem Brand 1531/33 wiederaufgebaut), mit der Barockfassade von 1767 (Neubau nach dem Brand von 1531) und seinem schönen Innenhof. Von diesem aus hat man auch Zugang zum Stadtbüro mit dem Tourismusbüro, betreut von der freundlichen Stéphanie Berthoud.
 
Markante Objekte sind ferner die barock verbaute Stadtkirche, die Kapelle der Johanniter-Kommende, eine Kombination von Kloster und Burg, die einst ein Hospiz für vorbeiziehende Jerusalem-Pilger und Kriegermönche war. Zu erwähnen sind sodann der Kupferturm oder Storchennestturm, auf dem wieder gebrütet wird, und der aus dem 14. Jahrhundert stammende, dreieckige Messerturm (Diebes- oder Folterturm) am Rhein, in dem Gesetzesbrecher auf brutale Art verhört wurden. Um das 1967 renovierte Bauwerk ranken sich viele Legenden. So sollen Gefangene vom oben gelegenen Verhörzimmer durch eine Falltür durch den hohlen Turm, dessen Wände mit nach innen ragenden Messern bestückt waren, in die Tiefe gestossen worden sein, so dass sie zerstückelt wurden und als Fischfutter im Rhein landeten. Brutale Sitten. Heute ist der oben gezinnte und mit dem Spitzhelm gedeckte Turm, der ein Bestandteil der Stadtmauer war, nur noch ein romantischer Akzent im Giebelmeer.
 
Privat-Exkursion
Am Samstag, 04.04.2009, unternahm ich wieder einmal aufs Geratwohl eine Entdeckungsreise nach Rheinfelden. Ich parkierte das Auto auf dem grossen Abstellplatz beim Waldfriedhof an der Strecke zwischen Autobahn und Kurzentrum. Dieser Friedhof war 1925/26 entstanden und ersetzte allmählich den alten Friedhof im heutigen Stadtpark, der um 1960 aufgehoben wurde. Über Spitalstrasse und Zürcherstrasse wanderte ich zum Zollrain und durchs Obertor („Glunkins-Tor“), dem einzig verbliebenen von ursprünglich 4 Stadttoren, in die Altstadt hinein. Das Obertor ist gegen den Bözberg und Zürich ausgerichtet. Der Obertorturm war der wichtigste Turm der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Seine Turmuhr zeigt zwar die richtige Zeit – es war gerade Mittag –, doch sie schlägt immer 7 Minuten vor der Stunde, damit die Bauern auf den ausserhalb der Stadtmauern gelegenen Feldern in keine Torschlusspanik gerieten und die Stadt beim Einnachten jeweils noch vor Torschluss erreichten. Doch das soll auch nicht immer funktioniert haben, weil die Leute beim Glockenschlag dachten, sie hätten ja noch Zeit genug – und gerade deshalb zu spät kamen … Aber der schöne und für Fremde verwirrliche Brauch des voreiligen Stundenschlags blieb erhalten. Daraus mag man ersehen, dass Rheinfelden CH nicht allein eine Kulturstätte des Augenblicks, sondern auch eine solche von Dauer ist.
 
Am Obertorplatz befindet sich der „Goldene Adler“, ein aus dem Jahr 1726 stammender, vornehmer, barocker Gasthof mit einem behäbigen Mansarddach und dem österreichischen Doppeladler als Wirtshausschild. Rund um den Platz soll sich früher eine ganze Serie von Gaststätten gruppiert haben, so dass man von einem Pariserplatz sprach, aber nicht etwa im zweideutigen Sinne, sondern einfach der vielen Gasthäuser wegen. Ich bog in die schön proportionierte Kapuzinergasse ein und kam am Haus „zum Massstab“ vorbei. Durch die Propsteigasse arbeitete ich mich zu den Chorherrenhäusern des Stifts St. Martin vor, die in der Nachbarschaft der Stadtkirche den Gustav-Kalenbach-Platz umschliessen und Bauteile aus der Gotik und Renaissance zur Schau stellen. Hier residierten einst die Geistlichen und landesherrlichen Regierungsvertreter. Der dominante Spyserhof hat das frühere Haus der Beginen (Laienkongregation) ersetzt. Südlich der Kirchgasse sind ein ummauerter Stiftsgarten und die ehemaligen Zehntenscheune.
 
Am Schnittpunkt von Propstei- und Kapuzinergasse steht das mehrmals umgebaute Commandantenhaus, ein Steinbau aus dem frühen 13. Jahrhundert mit Mauervorsprung und einst romanischem Rundbogenfenster, das zum Spitzbogen- und Schlitzfenster zugemauert wurde.
 
Bei der Kapuzinerkirche, ein romanischer Bau, die ursprünglich auf dem Kapuzinerberg stand, handelt es sich um eine ehemalige Klosterkirche. Sie wurde 1657 geweiht, im Dreissigjährigen Krieg zerstört und am heutigen Standort in der Altstadt wieder aufgebaut. 1804 wurde sie säkularisiert, und 1832 bis 1930 diente sie als Stadttheater.
 
Die Stadtkirche St. Martin ihrerseits stammt aus den Anfängen des 11. Jahrhunderts und war 1228 bis 1870 ein Chorherrenstift. Der Bau wurde 1769 bis 1772 durch einheimische Künstler spätbarock umgestaltet. Sie dient seit 1873 als christkatholisches Gotteshaus, das wegen seiner Farbigkeit berühmt ist. Während der Fastenzeit kann hier das Fastentuch besichtigt werden, übrigens neben jenem in Unterägeri ZG das einzige Fastentuch aus dem 17. Jahrhundert, das in der Schweiz noch „in Betrieb" ist.
 
Den Hauptwachplatz bei dieser Kirche säumt eine Reihe von Adelshäusern (Hugenfeldhaus, Schönauerhof und Lustgarten). Und hinter diesen, anschliessend an den Schützengraben, steht das unter Kaiser Karl VI. errichtete Backhaus, das heute zum Hotel und zur Klinik „Schützen“ gehört, diesem ältesten Rheinfelder Badehotel von 1846 mit seinen vergitterten Balkonen, das sich ausserhalb der Stadtmauer befindet und geschmackvoll renoviert ist.
 
Auf der entgegengesetzten Strassenseite ist eine alte Wetterstation, die eine Revision ertragen könnte, aber gleichwohl brav 18 °C und 1032 mbar bei einer Luftfeuchtigkeit von 56 % anzeigte. Sie wurde von Karl Günther-Zschokke gestiftet. Man findet sie leicht: Die geografische Lage der Säulenspitze ist 47°33’21,6’’ nördliche Breite und 5°27’21,6’’ östliche Länge von Paris und ist 279,560 m über Meer.
 
In der Altstadt , wo schon immer ein Markt u. a. für die an Getreide, Salz und Fischen reiche Umgebung war und in der die Handwerker wie Schmiede, Kessler und Goldschmiede wohnten, machte Rheinfelden mit dem Fest „Frühlingsstrahlen“ soeben Lust auf die neue Jahreszeit, also ob die nicht schon lange da gewesen wäre. Eltern waren mit dem Nachwuchs zu Spiel und Spass hier eingetroffen, um Rollmobile auszuprobieren, Theater zu spielen oder Musik zu machen. Auch die einheimischen Vereine wie der Männerchor und die Stadtmusik waren in Aktion, trugen zum Aufblühen des Publikums bei.
 
Mein nächstes Ziel war der Bahnhof. Ich wanderte am wuchtigen Bahnhofsaal von Ernst Scheling, 1934, mit seiner Schaufassade mit den von Kunststeinbändern gefassten Fensterbahnen vorbei. Das Gebäude erinnerte mich etwas an eine zusammengestutze Variante der Grossen Halle des Volks am Tienanmen-Platz in Peking. Der Bahnhof Rheinfelden steht gleich daneben. Er ist putzig und entstand mit dem Bau der Eisenbahnlinie Pratteln–Rheinfelden–Bözberg–Brugg (um 1875).
 
Ein vielästiger, satt gelb blühender Wanderwegweiserbaum auf 285 m ü. M. lehrt, dass man sich hier inmitten eines opulenten Wandergebiets befindet. So gibt es den Fricktaler Höhenweg (Rheinfelden–Frick–Mettau) oder aber Wanderrouten in beliebige andere Fricktaler Gebiete, auch über die Rheinbrücke nach Deutschland – in 5 Std. 45 Min. wäre man in Brombach D – oder zum Rheinuferweg. Kaiseraugst ist für Fussgänger 1 Std. 25 Min. entfernt. Dort befindet sich die Römerstadt Augusta Raurica, die auf jeden Fall einen Besuch verdient.
 
Wuhrmann – das war einmal
Am Bahnhofkiosk beschaffte ich einen Stadtplan, der mir mit der Aufforderung, ich könne ja sonst etwas kaufen, von der geschäftstüchtigen Verkäuferin gratis abgegeben wurde. Ich entschloss mich für Habana-Zigarren von Wuhrmann Rheinfelden (die würzigeren: „Feu“), für die ich Feuer und Flamme bin. Doch traf mich ein Tiefschlag: Die Cigarrenfabriken A. Wuhrmann & Cie. AG (AWEC) produzieren nicht mehr – das Ende einer Geschichte, die 1876 in der Rheinfelder Altstadt begonnen hatte. Die Produktion wird nun durch die Villiger Söhne AG, CH-5735 Pfeffikon LU, weitergeführt, ebenfalls ein gutes Haus. Doch das Bedauern, dass wieder eine qualitätsbewusste Kleinfirma verschwunden ist, sass tief. Die Globalisierungsfusionitis kennt keine Gnade; Traditionsfirmen sterben wegen dieser globalen Geistesverwirrung wie die Fliegen. Die Vielfalt, die das Potenzial für positive Entwicklungen in sich tragen würde, wird zerschmettert.
 
Zum schwachen Trost und auch vor Wut auf all die Plattmachungen verwandelte ich gleich eine Zigarre in Glut und wanderte zum Wuhrmann-Fabrikationsgebäude an der Kaiserstrasse, in dem sich nun verschiedene kleinere Betriebe eingenistet haben; auch die Klinik Schützen hat dort jetzt ein Atelier. Ich nahm einige Züge, genoss das gleichzeitig weiche und doch aromatische Raucharoma, kam mir aber wie auf einem Beerdigungszug vor. „The Pleasure Principle“ las ich auf einer Wuhrmann-Firmentafel, und dieses Prinzip des Vergnügens gönnte ich mir jetzt, und mag die deutsche Sprache noch so sehr mit Anglizismen durchlöchert sein.
 
Etwas wehmütig betrachtete ich den Fabrikbau von 1896 mit seiner nüchternen Zweckarchitektur, in dem sich eine der ältesten Zigarrenmanufakturen Europas befand und wo in den letzten Jahren (5. Generation) etwa 20 Personen jährlich etwa 5 Millionen Stumpen und Zigarren gefertigt haben – von denen einen Teil ich höchstpersönlich geschmaucht habe. Aber das reichte offensichtlich bei Weitem nicht aus. Eine Magnolie neben dem Gebäude (an der Seite des Quellenrains) setzte gerade zum Blühen an, als ob nichts geschehen sei.
 
Am Rhein
Ein schwacher Regen begann, der mich ans Wasser, an den Rhein erinnerte, dem Rheinfelden nicht nur den Namen, sondern auch die Lage verdankt. Ich begab mich zum verwaisten Zollgebäude (Gruss aus Schengen im Grossherzogtum Luxemburg …). Bei dieser Liegenschaft ruft eine Tafel zur Selbstdeklaration auf – eine Form von Selbstbedienung, wie sie im Rahmen des Personalsterbens allenthalben üblich geworden ist. In der Nähe, zum Beispiel bei der Ausserortstafel, sind Überwachungskameras installiert. Die mit Pflastersteinen belegte Brücke (Baujahr: 1911/12) ist jetzt für den Verkehr gesperrt, nachdem ja eine neue Brücke wenige hundert Meter rheinabwärts dem Fahrverkehr über die Landesgrenze hinweg dient. Eine Fahrbewilligung aber haben noch immer die eifrig zirkulierenden Citybusse („Rheinfelden verbindet“), die zwischen Rheinfelden D und CH verkehren. Von dieser Betonbrücke, die teilweise aus rotem Sandstein und Granitquadern verkleidet ist und sich angenehm ins Stadtbild einfügt, hat man eine gute Sicht auf die dem Fluss zugewandte, kompakte Altstadtseite.
 
Südlich ans 1. Brückenteilstück auf Schweizer Seite ist das Burgstell, an das sich weiter unten das Inseli anschliesst. Auf dem erhöhten Teil, einer Felsinsel im Rhein, stand ab dem 11. Jahrhundert bis 1445 die Burg „Stein“, der Sitz der Grafen von Rheinfelden, dann der Zähringer und ab 1275 jener von König Rudolf von Habsburg, der häufig hier wohnte, hier Reichs-Kleinodien verwahrte, und in dieser Burg erblickte auch sein jüngster Sohn das Licht von Rheinfelden „des Kaisers Pfalz“. Später wurde eine Artilleriefestung daraus. Heute ist von der Burg nichts mehr zu sehen; ein netter Park mit Bäumen und Bänklein hat sie ersetzt. Ein knackiges Mädchen aus Bronze mit einem Apfel in der Hand wurde der Stadt von der Bürgerschaft aus Anlass des 850-jährigen Bestehens von Rheinfelden (1980) geschenkt. Zu seinen Füssen blühten gerade die Krokusse.
 
Man kann von dort zur alten, 1968 mit einem Netz aus Wooggarn zwischen 2 Balken nachgebauten und von der Fischerzunft Rheinfelden betreuten Salmenwaage (Salmenwoog) hinunter steigen, die es hoffentlich bald wieder braucht, zumal ja die ersten Lachse den Rhein wieder als Lebensraum entdeckt haben. Es ist ein kompliziertes, in Europa einzigartiges Fanggerät, das auch zum Wägen der Fische diente. Die Lachse waren einst das Grundnahrungsmittel von Rheinfelden, und noch 1945 wurden zwischen Basel und Rheinfelden etwa 500 Stück gefangen. Dienstboten mussten per Gesetz davor bewahrt werden, dass ihnen vom Basler "Daig" ununterbrochen Salmen vorgesetzt wurden, die ihnen zweifellos allmählich zum Halse heraus hingen. Nur noch 3 Mal pro Woche durften sie mit dieser Delikatesse gefüttert werden.
 
Auch der Kopf der alten, 1911 abgebrochenen Rheinbrücke ist dort unten noch ausgestellt, ein Satteldach mit Holzgiebeln auf Holzbalken und auf Betonunterbau.
 
Über einen kleinen Steg erreicht man das untere Inseli, ein netter Erholungsraum mit Sand, Bäumen, Wasservögeln in der Nähe der Altstadtperipherie. Nach dem Kraftwerkbau wurde die kleine Insel befestigt (1912).
 
Gleich nebenan, direkt unter der Rheinbrücke, sind im hier zügig fliessenden Rhein die gefährlichen Strudel des St.-Anna-Lochs, das wegen einer tektonischen Verwerfung zwischen Tafeljura und Schwarzwald in der oberrheinischen Tiefebene entstanden ist, eine Grabenbruchzone, die bereits etwa 700 m oberhalb der alten Brücke beim so genannten Höllhaken bedeutende Ausmasse hat, sich insgesamt zwischen Nordsee bis zum Mittelmeer erstreckt und gelegentlich auch zu Erdbeben führt. Der Spalt reisst das Wasser als Strudel bis 32 m tief hinunter – und wer in diese tobende Fallwasserzone gerät, hat keine Überlebenschance mehr; selbst ganze Boote sollen verschlungen werden; doch 2 Paddelboote machten sich während meines Besuchs nichts daraus. Der Unglückliche aber wird unten in einem muschelförmigen Becken lange Zeit festgehalten. Ein Plakat beim Inseli verkündet „BAD NEWS“. Man kann’s lesen, wie man’s will – deutsch oder englisch.
 
Nach einer Sage soll sich im St.-Anna-Loch noch immer eine goldene Kirchenglocke befinden, die von Jahrhunderten dort vor plündernden Hunnen in Sicherheit gebracht wurde – aber sie konnte nicht mehr gefunden werden. Die um ihre Beute betrogenen Hunnen sollen dann die Burgherrin Anna in den Strudel gestossen haben, die dem Loch den Namen gab.
 
Sagenhaftes
Als sich etwas Durst meldete, begab ich mich in die Altstadt zurück, bog in die belebte Marktgasse ein und setzte mich vor dem gutbürgerlichen Gasthof „Feldschlösschen am Rhein“ („Zur doppelten Sichel“, Marktgasse 5) mit seiner markant in Kaffeebraun bemalten und verzierten Fassade und einem Erker im Giebel an einen Tisch – und bestellte ein grosses Bier (5 dl), offen und frisch. Da keine Bretzeln erhältlich waren, tat ich dem Salz die Ehre mit Salzstängeli an. Das Bier von der Carlsberg-Tochter (seit 1996) war weich, fast milchig, fein, tat gut. Das Bier „Richie Bräu“, das von einer lokalen Kleinbrauerei stammt, habe ich leider verpasst.
 
Aus dem Prospekt von Tourismus Rheinfelden erfuhr ich, dass gerade eine „Sagenhafte-Geschichten"-Führung bevorstand. Treffpunkt 14.00 Uhr vor dem Rathaus. Die Turmuhr des Obertors schlug gerade 13.53 Uhr. Das traf sich ja gut; zumal das Rathaus nur ein paar Schritte entfernt war. Wie immer führt mich ein gütiges Schicksal zur richtigen Zeit an den richtigen Ort. Ich stürzte mein Bier herunter und begab mich zum Rathaus, in dessen offener Halle mit der 1613 entstandenen Freitreppe im Renaissancestil, ursprünglich ein Ort des öffentlichen Gerichts, gerade ein Osterbaum geschmückt wurde. Die Fassade war mit einer Fahne „Geschichte erzählt Geschichten“ geschmückt – so lautet das touristische Jahresmotto 2009. Etwa 40 Personen waren bereits um Klaus Heilmann versammelt, der gelb-rot unterteilten, an die Zähringer erinnernden Tracht. Diese „sagenhafte Stadtführung" ist nur eines der neuen Angebote an Stadtführungen mit lokalgeschichtlichem Bezug von Tourismus Rheinfelden, wie mir Stéphanie Berthoud verriet.
 
Als alle Billette eingesammelt waren, startete die Gruppe gleich zum Schelmengässli, das auf der anderen Strassenseite einmündet, ehemals ein Ehgraben (Kloake). Rheinfelden ist reich an Gassen und Gässchen, die verschwiegene Winkel haben und sich dann zu Plätzen öffnen und reizvolle Durchblicke ermöglichen. Unter einem Bogen mit dem Wappen der Grafen von Rheinfelden (11. Jahrhundert) über dem Schelmengässchen hielt der Sagen-beschlagene Führer Heilmann an und erzählte die hier fällige Sage in erfrischender Form – immer hart an der Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion – schliesslich kommt nach seinen Worten der Begriff „Sage“ von dem, was man vom Hörensagen und Weitererzählen vernommen hat, und bei solchen Kommunikationswindungen spielen Wahrnehmungsunterschiede und Fantasie immer mit.
 
Unter dem Schelmengässli-Bogen (Asyl-Bogen) ist eine in eine Mauernische eingemauerte Sitzbank, ein Steinklotz. Wenn es Dieben bei der Verfolgung durch die Polizei gelang, sich auf diese Bank zu flüchten, durften sie nicht verhaftet werden. Dann sass der Dieb also auf der harten Bank; der Polizeimann seinerseits wartete und wartete. Die Anwohner brachten dem Dieb zu trinken (nicht aber dem Ordnungshüter), bis dieser im Alkoholdusel einschlief, von der Bank fiel und dann vom Polizisten gefasst und ins Rathaus gebracht werden konnte.
 
Der Zähringer Heilmann erzählte lebhaft, temperamentvoll, würzte mit Humor, und um ein Haar hätte man ihm seine Geschichten geglaubt! Er führte uns in die Winkelgasse in der Nähe des Obertors, wo eine grossflächige Wandmalerei des einheimischen Künstlers Jakob Strasser und ein Glockenspiel im „Rumpel“, welches das zarte Meckern eines Ziegenbocks imitiert (täglich um 9, 12, 15 und 17 Uhr) die Sage von einem Schneider erzählt, der Rheinfelden im Dreissigjährigen Krieg vor den Schweden rettete.
 
Die Stadt wurde damals wochenlang belagert. Harkebüchsen (Gewehre mit Radschlossmechanismus) und Kanonen krachten, Pfeile schwirrten herbei. Die dicken Mauern hielten die Kanonenkugeln ab. Doch den Rheinfeldern ging die Nahrung aus … der Hunger wurde übermächtig. In der Nähe des Tors wohnte ein Schneider, fast könnte man sagen: ein tapferes Schneiderlein. Er hatte seine letzte Ziege geschlachtet und aufgegessen und betrachtete, auf eine Lösung sinnend, das aufgehängte Fell mit dem Ziegenkopf. Da kam ihm die Erleuchtung: Er kroch ins Fell und nähte es von innen sorgfältig zu – als Schneider gelang ihm dieses Kunststück sehr wohl. Dann stieg er, als unbeholfen meckernde Ziege verkleidet, auf die Ringmauer und tat so, als ob er nach Grashalmen suche. Dem ebenfalls hungrigen schwedischen Wachtsoldaten lief das Wasser im Munde zusammen, und er legte sein Gewehr an. Der Schneider aber liess sich vor der Schussabgabe auf die Innenseite der Mauer fallen. Der Wachtsoldat meldete den Vorfall seinen Vorgesetzten. Und die Schwedenführer schlossen daraus messerscharf: Wenn es in der Stadt noch so viel Vieh gibt, dass Ziegen selbst auf der Mauer herumlaufen, werden wir Rheinfelden nie aushungern und erobern können. Sie hoben ihre Belagerung resigniert auf und zogen nach Laufenburg weiter. Von nun an durften alle Schneider einen Ziegenbock im Wappen führen. Und Ziegen gibt es übrigens noch heute: Im Stadtpark beim Parkhaus des Kurzentrums habe ich eine ganze Ziegenweide gesehen. Schneider dürften inzwischen eher seltener geworden sein.
 
Ins Solebecken
An diesen lebendigen Ziegen vorbei begab ich mich abschliessend zum Kurzentrum östlich von Rheinfelden, auf dem Weg zur Saline Riburg, um mich im neuen „sole uno“ vom Trommelfeuer der Eindrücke zu erholen. Die neue Anlage in den Tiefen eines Erweiterungsbaus des Kurzentrums (Kosten: 12,6 Mio. CHF), die über eine imposante, noble Natursteintreppe erreicht wird, ist im Wesentlichen ein gewölbeartiger, mystischer Raum im Halbdunkel mit einem Solebecken, das die gleiche Salzkonzentration (12 %) wie das Tote Meer aufweist. Man kann sich aufs 36 °C warme Wasser legen, durch das sanfte Klänge ins Ohr eindringen. Zur neuen Anlage gehören auch ein „Feuerbad“, ein Becken mit 40 °C heissem Wasser und einem Sprudel in der Mitte; daneben befindet sich ein Eisbad (15 °C), in dem man sich erfrischen kann. Auch ein kalter Alpen-Wasserfall mit Platten aus dem Bündner Fels steht zu Kühlzwecken bereit. Und daneben warten neuartige Duscherlebnisse, „Tropenregen“ genannt – vom feinen Nieseln bis zum Gewitter- und Platzregen. Zudem sind 3 Aroma-Dampfbäder (z. B. Vanille und Kokos) vorhanden.
 
Ja, in Rheinfelden kommt etwas viel zusammen, und jede Beschreibung kann nur Stückwerk sein. Selbst der Rhein hat seinen vielfältigen Reiz behalten. Er wird hier von breiten Kiesterrassen begleitet und Felsbarrieren eingeengt. Im Moment ist oberhalb der Altstadt der Kraftwerkneubau im Gang. Die „Felder am Rhein“ (Bedeutung des Gemeindenamens) werden, wie man sieht, nach wie vor intensiv bebaut.
 
Quellen
Heiz, Arthur; Schild, Ursi, und Zimmermann, Beat: „Fricktal. Bezirk Rheinfelden“, AT Verlag, Aarau 1983.
Stadtprospekte.
 
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