Textatelier
BLOG vom: 25.03.2009

Ruine Königstein, Küttigen – geheimnisvoller Trümmerhaufen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Das Dorf Küttigen AG (Bezirk Aarau) ist in seinem nördlichen Rücken von 2 Jurabergen flankiert: dem Brunneberg im Nordwesten und dem Acheberg im Norden, an dem die Rebberge kleben. Weil auf dem Brunneberg, dem östlichen Teil des Rückens „Egg“, die sagenumwobene Ruine Königstein sitzt, wollte ich endlich einmal diese maximal 776 Meter hohe Erhebung wandernd erkunden, und zwar lag es mir daran, einen Eindruck vom ganzen Brunneberg abseits der Wanderwege zu erhalten. Dass ich dabei in Kletter- und Rutschpartien geraten würde, hatte ich nicht erwartet, weshalb ich meine kuriose Route überhaupt nicht zur Nachahmung empfehle. Im Gegenteil.
 
Von Küttigen aus führt eine geteerte, zweispurige Strasse übers Bänkerjoch über Oberhof und Wölflinswil ins Fricktal. Sie führt vom Dorfzentrum aus nach Nordwesten, dem Fischbach entlang. Am Dorfausgang befinden sich verschiedene Industrie- und Gewerbebetriebe wie die Bandweberei Kuny AG, bevor man das Engnis der Bänkerchlus erreicht, wo die Papirmüli (so steht es auf dem Blatt „Aarau“, 1089, der Landeskarte der Schweiz 1:25 000) ist. Das war einst die Papiermühle des Unternehmers Heinrich Remigius Sauerländer (1776–1847). Diese ehemalige Papiermühle wird heute als Mehrfamilien-Wohnhaus genutzt. Auf einem Felsvorsprung, etwa 150 m höher oben, kann man die Ruine Königstein erkennen, wenigstens jetzt, da die Bäume noch keine Blätter tragen. Diese enge Stelle könnte einfach mit einer Mauer verschlossen werden, und offenbar war das früher einmal so, wie im Buch „Der Canton Aargau“ von Franz Xaver Bronner (1844) zu lesen ist; Mauerreste aus zerbröckelten Kalksteinen und Mörtel beweisen dies.
 
Ich durchschritt die Klus (links neben der Strasse ist ein Wanderweglein im Steilhang, in dem einige Buchen umgefallen sind) bis zur Gipsribi, ein sumpfiges Gebiet, wo verschiedene Seitenbäche dem Fischbach zu einer erhöhten Wassermenge und damit Bedeutung verhelfen. In einem kühnen Sprung setzte ich über den Fischbach hinweg und folgte dem aus Westen herunter fliessenden Bach, dessen Name ich nicht kenne, von der Breitmatte zur Eselmatt, hinauf zur Waldmatte und zum Sägel (Säägel) unterhalb des Wilebergs. Dabei kam ich an einem alten Betonbunker vorbei, der zu einer Art Holzschopf umfunktioniert ist und mit 4 biegsamen Holzstangen, die sich oberhalb der Dachmitte vereinigten, von seinem martialischen Aussehen befreit ist – im Stile eines Wigwams. Das liess die Vermutung aufkeimen, dass wir Schweizer tatsächlich von den Indianern abstammen, wie es der deutsche Wirtschaftsminister Peer Steinbrück mit Verweis auf unser Steueroasentum hatte durchblicken lassen.
 
Die ersten Huflattiche präsentierten ihre goldenen Sonnenräder, und satt grüne Bärlauchblätter (Allium ursinum) hatten sich 3 bis 4 cm hoch übers Buchenlaub erhoben und warteten auf eine Chance, tierische oder menschliche Organismen zu reinigen. Es war der 22.03.2009 – also die Zeit des Frühlingsbeginns. Linksufrig (auf der Seite der Wasserflue (Wasserfluh) stiess ich auf eine Art Weg; einzelne Parzellen waren eingehagt und offenbar landwirtschaftlich genutzt; aber Tiere oder ein Gehöft waren nicht auszumachen.
 
Auf dem weiteren Weg nach oben musste ich über einige Baumstämme klettern und war froh, dass ich das, was der Fernsehsender B3 jeweils morgens um 9 Uhr („Tele-Gym“) bietet, praktisch anwenden konnte. Vor dem Bildschirm wird solches mit Hilfe eines Stuhls geübt, in der Natur sind die Verhältnisse etwas schwieriger, um nicht zu sagen brüchiger; Äste darnieder liegender Bäume haben nicht immer die Stabilität von Stuhllehnen.
 
Der Weg zu Füssen des Brunnenbergs und der Wasserflue machte dann ein kletterfreies Vorankommen möglich. Und er führte mich zu einer Gabelung bei Punkt 625. Hier leuchtete mir der Name Brunneberg ein: Eine starke, in ein Betonverlies gezwängte Quelle und andere Wasseraustritte rechtfertigen den Namen. Den Küttigern stünde also herrliches Quellwasser zur Verfügung. Doch meines Wissens haben sie sich in einem Moment hydrologischer Umnachtung dafür entschlossen, das weniger kalkhaltigere, aber auch weniger reine Grundwasser aus dem Aaretal zu trinken, was ich noch nie nachzuvollziehen vermochte.
 
Gegen den Sägel löst sich das Bachtobel allmählich auf. Ich entschied mich für ein nach links abzweigendes, kurviges Strässchen, um den Brunneberg-Grat zu erreichen. Im schattigen Nordhang lag zwischen Jungwuchsgestrüpp noch etwas Schnee auf dem teilweise gefrorenen Boden. Menschliche Spuren jüngeren Datums waren darin nicht auszumachen.
 
Als ich nach etwa 10 Minuten dauernden Aufstiegs der Waldlichtung Eggmatt zusteuerte, kreuzte ein jüngeres Paar zügigen Schritts meinen Weg. Der Mann trug ein gelbes Dreieck in der Grösse eines Verkehrsschilds, wie sie als Gefahrensignale zum Einsatz kommen, auf dem Rücken. Oder war das etwa eine mit Leim bestrichene Pheromonfalle, zumal ja Insekten gern auf die Farbe Gelb hereinfallen? Bei genauerem Hinsehen erkannte ich kleine Rädchen und allerhand Kabel, so dass es sich um ein Modellflugzeug mit Elektromotor handeln musste. Die beiden beteuerten auf meine Frage hin, es sei voll funktionsfähig.
 
Das Paar war auf einem etwa 30 cm breiten Fussweg daher gekommen. „Führt der Weg zur Ruine Königstein?“ fragte ich. „Wir hoffen es“, war die Antwort, der Weg sei als Wanderweg markiert. Also folgte auch ich diesem Weg, der im abschüssigen Gelände zum Teil noch mit einer verhärteten Schneeschicht bedeckt war und einige Vorsicht erforderte.
 
Der Kalk ist auf dem Brunneberg brüchig, was auch erklärt, dass es eine Bergsturzstelle gibt und das Klettern kaum verantwortbar ist. Mit der Zeit erreichte der aufsteigende Weg die gegen Nordosten etwas abfallende Krete, wo ich einen jüngeren, athletischen Mann mit schwarzem Haar und ebensolchem Hemd antraf. Er sagte mir, etwas weiter vorn sei eine Absperrung. Und tatsächlich waren, wohl etwa 800 m vor der Ruine, rot-weisse Plastikbänder mit der Aufschrift „Militär. Militaire. Militario“ um die Bäume gewickelt – ein Sprachkurs, der später repetiert wurde. Das Flieger-Paar wählte den Abstieg gegen Erlinsbach hinunter; doch ich wollte mein Ziel, erstmals die Ruine Königstein auf dem östlichen Ausläufer dieses Bergs zu sehen, nicht aufgeben und durchschritt die verbotene Zone.
 
Statt dieser Bänder hätte ich eher eine kupferne Schlange erwartet, wie es sie auf dem Königstein geben soll und von der die Sage erzählt, ihr Biss lasse die Glieder welken. Sie war offensichtlich noch nicht aus dem Winterschlaf erwacht. Also durchquerte ich die markierten Zonen, wanderte über Stock und Stein, über Wurzeln und Baumstrünke. Im Boden war eine kleine Kluft, die den Blick auf die übereinander geschobenen Kalksteinplatten frei gab. Einige Meter weiter vorne war ein weiterer Schlund im Boden; dort war ein grosser Felsbrocken etwas abgerutscht.
 
Der Weg wenig neben oder auf der Krete, die gegen Norden praktisch senkrecht abfällt, war wegen des verhärteten Buchenlaubs, das zäh ist und dem Zerfallsprozess lange widersteht, glitschig. An einzelnen Stellen kämpfte ich mich auf allen Vieren voran. Die Krete verlor zunehmend an Höhe; an eine Umkehr war nicht mehr zu denken. Das brauchte ich nicht noch einmal.
 
Und dann tauchte sie plötzlich zwischen Buchenstämmen in etwa 150 m Distanz auf: die Ruine Königstein als ein stattlicher Hügel mit einigen restaurierten Kalksteinmauern obenauf. Ich hatte vorerst noch einen steilen Abhang zu bewältigen, in dem ich eine Treppenstufe ausmachte; doch die Treppe war im Laub versunken. Der Skisprung-Weltmeister Simon Ammann hätte auf diesem Laubteppich ideale glitschige Voraussetzungen, um sein Tempo zu steigern – doch ein Absprung mit anschliessendem Flug würde ihm hier verunmöglicht.
 
Die Königstein-Geschichte
Am Fusse der Ruine sind eine Informationstafel über die geschichtlichen Hintergründe und eine Kamera zur Wildbeobachtung angebracht. Die Burg wurde 1277 im Auftrag der Herren von Kienberg-Küngstein, die einem edelfreien Geschlecht entstammten, gebaut. Die erste Erwähnung des „Kiungestein“ erfolgte 1279. Die Kienberger waren beim Versuch, eine unabhängige Herrschaft aufzubauen, mit den Grafen von Frohburg in Konflikt geraten, weshalb die Burg Kienberg 1241 zerstört wurde und die unterlegene Kienberg-Familie ihren Aktionsradius Richtung Küttigen verlagern musste. Ihre neue Burg umfasste eine kleine Vogtei aus Küttigen und Erlinsbach.
 
Der Rarität halber entnehme ich die weitere Geschichte dem erwähnten Bronner-Buch, der über „Königstein oder Küngstein“ wie folgt berichtet: „Auf dieser Burg hausten vor Zeiten die Adeligen, welche ihren Namen (Königstein) führten. Heinrich erwarb dieselbe von seinem Bruder mit den dazu gehörigen hohen und niederen Gerichten zu Erlinsbach und Küttigen im Jahre 1355. Der Vormünder der jungen Nachkommen dieser Edlen verkaufte Schloss und Herrschaft im Jahre 1417 an die Stadt Aarau um 550 Gulden. Allein Thomas von Falkenstein und andere benachbarte Adelige erregten der Bürgerschaft so viel Streitigkeiten, dass der Rath froh war, diese Besitzungen an ihren Bürger Junker Arnold Segesser (im Jahr 1453) verkaufen zu können. Dieser überliess das Ganze schon im folgenden Jahr den Johanniter-Rittern zu Biberstein, welche das Schloss abgehen liessen und sich mit der Herrschaft und den Gefällen begnügten. Bern brachte später die Kommende an sich und kaufte dem Stifte Münster (heute Beromünster) im Jahre 1536 die Güter und Gefälle ab, welche dasselbe in Küttigen und der Umgegend besass.“
 
So weit Bronner. Dazu entnehmen wir der Orientierungstafel bei der Ruine das Kapitel „Der Gerichtsprozess von 1278 bis 1281“
 
„1278 wurde Ritter Jakob von Kienberg vom Stift Beromünster vor Gericht gezogen, weil er seine Vogteirechte über die Küttiger Stiftsgüter missbraucht hatte. Die Geschichtsforschung des ausgehenden 19. Jahrhunderts zeichnete vom Kienberger das Bild des ‚bösen Vogts’ mit seiner ,Zwingburg’ Königstein. Aus heutiger Sicht aber bezeugen die Gerichtsurkunden weder Schuld noch Unschuld des Kienbergers. Auch dass die Burg zu Unrecht auf dem Boden des Stifts erbaut worden sein soll, ist mittlerweile widerlegt.“
 
1798 wurde Küttigen und somit auch die Burg dem helvetischen Kanton Aargau zugeschlagen, zu welchem sie ab 1803 gehörte. Heute ist die Ruine Eigentum der Ortsbürgergemeinde Küttigen, und sie steht unter dem Schutz des Kantons Aargau. Der Zerfall hatte mit dem Erlöschen der Familie begonnen, die sich Königstein nannte (der Name entstand vielleicht zu Ehren eines deutschen Königs). Einer der Letzten seines Geschlechts, Ritter Ruman von Küngstein, zog 1386 mit dem Aarauer Fähnlein unter Herzog Leopold gegen die Eidgenossen in die Schlacht. Die Burg wurde um 1400 aufgegeben und 1454 bereits als „klein abgand ding“ erwähnt – ein Hinweis auf den Zerfallsprozess.
 
Ursprünglich soll es eine vordere und eine hintere Burg mit einem Hof dazwischen gegeben haben, ein Baukomplex von etwa 35 auf 15 Meter Grösse auf dem höchsten Punkt des Felskopfs. Sie war nach 2 Seiten sturmfrei und durch einen doppelten Wall und 2 Gräben geschützt.
 
Der heutige Zustand
Gegenwärtig ist das alles bloss noch ein grosser Trümmerberg, auf dem einige Mauern neu aufgerichtet sind, auf dem Bäume wachsen und ein Alt-Förster-Ehepaar, Heidy und Heinrich Wehrli-Maurer, 2005 eine massive Sitzbank aus Eichenholz gespendet hat. Das widerspricht der Erzählung, dass die Mauern wohl leicht zum Wackeln gebracht werden könnten, aber durch nichts umzuwerfen seien, da zum Mörtelmischen beste Kuhmilch verwendet worden sei … Da ich meine Aufmerksamkeit auf die Aussicht nach Küttigen und über Aarau hinweg ins Mittelland und zu den von Dunst verhüllten Alpen richtete, stolperte ich über einen Wurzelstrang und verletzte mich am linken Handballen und schürfte ein Bein auf, die weitgehend noch unerforschte historische Stätte mit einem Tropfen Eigenblut tränkend.
 
Königstein lebt zum Teil von der an den Haaren bzw. Lederriemen herbeigezogenen Sage, wonach ein Ritter eine 180 m lange lederne Brücke erstellen liess. Dieser Burgherr soll die Küttiger Bauern genötigt haben, ihm eine grosse Menge Leder zu liefern, um daraus eine Hängebrücke zum gegenüberliegenden Achenberg zu bauen. Über sie wollte er zu Pferd seine Geliebte besuchen, die dort in der Burg Urgiz lebte. Ein Bauer soll die Lederriemen der Brücke leicht eingeschnitten haben, so dass der Burgherr mit seinem Pferd in der Mitte über der Klus in die Tiefe stürzte. Der und vor allem auch sein Pferd hatten also wesentlich mehr Pech als ich.
 
Wahrscheinlich wäre das Leder auch ohne die Kerben gerissen – allein schon wegen des Eigengewichts des Leders.
 
Mein eigenes Gewicht schleppte ich dann nach Küttigen hinunter. Der Königsteinweg war des Laubs wegen im obersten Teil nicht zu erkennen; doch konnte ich das nahe Dorf nicht verfehlen. Dieser Weg, der weiter unten geteert und mit einem Fahrverbot belegt ist und neben dem „Obere Sandrai“ vorbei führt, biegt in die Vorstadtstrasse ein. Über die Brandackerstrasse überquert man den Fischbach und ist wieder zurück auf der Benkenstrasse. Bei dieser Einmündung der Brandackerstrasse ist ein Wanderwegweiser mit der Inschrift „Brunnenberg. Wasserflue“ – von einem Königstein steht nichts darauf.
 
Die letzten Geheimnisse bleiben also gewahrt. Dazu gehört auch der Goldmünzenschatz, der sich tief unter der Ruine befinden soll. Nach diesem zu graben lohnt sich kaum; denn allfällig anzutreffende Münzen würden sich auf dem Heimweg in Schneckenhäuser verwandeln, erzählt man sich in Küttigen.
 
So bekommt man immerhin noch etwas fürs Geld.
 
Hinweis
Eine ausführliche Darstellung der Herrschaft Küngstein (Königstein) findet sich im Buch „Geschichte der Stadt Aarau“ von Alfred Lüthi, Georg Boner, Margareta Edlin und Martin Pestalozzi, Verlag Sauerländer, Aarau 1978, Seiten 245 ff.
 
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