Textatelier
BLOG vom: 01.11.2008

Greppen LU: Liebeserklärung an Kastanien und Baumnüsse

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
In der Zentralschweiz nennt man die Kastanie „Chestene“. Auch wer keine besondere Affinität zur Sprache hat, muss dies dort wissen, weil das Wort dort immer häufiger auftaucht. Der Grund dafür liegt in der Interessengemeinschaft (IG) Pro Kastanie Zentralschweiz (Präsident: Josef Waldis). Sie informiert bei jeder Gelegenheit über die Bedeutung der Kastanie und hat derzeit ein Verbundprojekt „Kastanienhaine Zentralschweiz“ am Laufen, das zum Beispiel darauf abzielt, ehemalige Weideflächen mit Kastanienbäumen durch eine gezielte Pflege wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuführen. In den Zusammenhang einer Vertiefung der Liebesbeziehung zu den Kastanien gehört die Chestene-Chilbi in CH-6404 Greppen LU auf der Ostseite des Küssnachter Arms des Vierwaldstättersees (Nachbargemeinde von Weggis). Weil mich beides interessierte, das Dorf und die Kastanien, reiste ich am Sonntag, 26.10.2008, dorthin.
 
Meine Idee zu diesem Ausflug erwies sich nicht als ein einsamer Entscheid, sondern eine riesige Menschenmenge hatte sich bereits im Dorf mit den charakteristischen giebelständigen Bauten eingefunden, von denen die katholische Kirche St. Wendolin mit dem säulengestützten Vorzeichen und dem Turm mit Nadelhelm optisch in Schranken gewiesen wird. Wer sich mit der Geschichte der Ufersiedlung befasst, erkennt, dass hier neben Vieh- und Alpwirtschaft und der Fischerei auch das Holzgewerbe eine Rolle spielte, gerade auch wegen der ehemaligen Kastanienhaine an den Uferhängen mit ihrem milden Klima. Laut der Obstbaumzählung von 2001 gab es in Greppen keinen einzigen Edelkastanienbaum mehr. Das Kastanienfest, mit dem die Kastanienkultur wieder gefördert werden soll, ist also berechtigt. Heute wohnen etwa 950 Personen in dieser Gemeinde, deren Wohngebiete ständig erweitert werden.
 
Das Dorf Greppen
Das Dorf mit dem als Schulhaus erbauten Gemeindehaus in der Mitte ist etwa 200 m vom Ufer des Sees zurückversetzt. Das Gelände zwischen Dorf und See weist noch grosse unverbaute Flächen auf, was den Reiz des Ortsbilds erhöht. Das Ufer kann man über einen geradlinigen Weg gut erreichen – dort sind ein Bootshafen und ein üppiger Sägereibetrieb mit Verladeanlagen für die Hölzer auf Schiffe und nördlich davon die Schifflände. Wegen einiger relativ junger Wohnhäuser und dem Haldi-Wald im Süden gibt es keinen Uferweg. Da sich an jenem Sonntagmittag der Hochnebel noch nicht aufgelöst hatte, war das für mich kein besonders ins Gewicht fallender Nachteil. Bei der Schiffländi war von der Schützengesellschaft ein Restaurant eingerichtet worden, in dem ich einen „Café fertig“ auf Zwetschgenschnapsbasis trank. Man soll ja auch etwas für den Erhalt der Zwetschgenbäume tun.
 
Der Blick zum Dorf (448 m ü. M.) an der Rigi-Westflanke vom See aus ist wohltuend; die Haussilhouetten verbreiten den Eindruck von Wohnlichkeit. An den meist aus Holz konstruierten Fassaden betonen Klebdächer über den Fensterreihen die Horizontale. Ins Zentrum dieser überzeugenden Portion Innerschweizer Baukultur zwängten sich rund 60 Aussteller und ein ständig zunehmendes Publikum, das seine Fahrzeuge auf einer abschüssigen, feuchten Wiese abgestellt hatte.
 
Der Kastanienmarkt
Die Stände lehrten, was alles man aus den Kastanien und dem Holz der Kastanienbäume machen kann, weit über „Heissi Marroni“ (die Marroni kamen aus Italien) und Vermicelles hinaus: Kastanienbrot, Kastanientorten, und Kastaniengebäck aller Art, Kastanienteigwaren, Marroni-Crèpes, Kastanienhonig, Kastanienlikör, Kastanienbier, Möbel wie Betten und zusammenlegbare Gartenbänke und -tische, Kastanienparkett, Spielsachen usw. Das Holz kann allerdings erst nach jahrelanger Lagerung verarbeitet werden. Auch als Brennholz könnte es eingesetzt werden, wäre es nicht zu schade dafür. Das Kastanienholz enthält viele Tannine (Gerbsäuren), die es ausgesprochen haltbar machen und Konservierungsmassnahmen mit Chemiegiften erübrigen. Wichtig ist, dass mehr Kastanienbäume gepflanzt als gefällt werden.
 
Rohe Kastanien aus Greppen waren für 6 CHF pro Kilo, Tessiner für 9 CHF/kg zu haben. Sogar ein Kastanienrisotto aus dem Holzofen wurde angeboten. Nur an eine Kastanienbratwurst wagte ich mich nicht heran, da mir das etwas weit ging. Ich verpflegte mich mit einer rahmigen Kastaniensuppe und einem Steinpilzrisotto – beides schmeckte gut.
 
Kastaniensuppe
Hier das Rezept für eine Kastaniensuppe aus einer Rezeptsammlung, die am Markt verkauft wurde:
 
80 g Kastanienflocken
200 g Kürbis (oder Karotten, Sellerie, Fenchel usw.)
1 l Gemüsebouillon
5 EL Rahm
Kräuter (wie Salbei, Rosmarin, Bohnenkraut)
Cayennepfeffer, Salz.
 
Zubereitung: Den geschnittenen Kürbis in Gemüsebouillon 10 bis 15 Minuten kochen. Kastanienflocken, Rahm, Kräuter und Cayennepfeffer dazu geben. Pürieren.
 
Das Nussprojekt
Wie die Kastanien, so geniessen auch die Baumnüsse (Walnüsse) eine hohe Wertschätzung, und die Nussbäume sind ebenfalls erhaltenswert. Dafür setzt sich die Fructus (www.fructus.ch) ein, die in Greppen verschiedene Nusssorten vorstellte, zum Teil ausgesprochen grosse. Neben bekannten waren im Herbst 2007 von über 70 Nussbaumbesitzern Fruchtmuster eingesandt worden, die, wenn sie nicht einer bekannten Sorte wie Junkernuss, Jupiter, Laski Orek, Milotal, Monrepos, Parisienne, Ronde de Montignac usw. zugeeignet werden können, jeweils den Gemeindenamen erhalten: Rapperswilen, Schänis, Schwamendingen etc. Wie mir Projektleiter Ralph Bachmann aus CH-8492 Wila sagte, schmecken die Nüsse ganz unterschiedlich. Die Palette reicht von fast geschmacklos über ein fein nussiges Aroma bis zu einer schier unerträglichen Bitterkeit. So ist eigentlich jeder Nussbaum ein Individualist, beeinflusst von seinen Nachbarbäumen. Auch heuer können wieder Nusssorten angemeldet werden (E-Mail: umweltwerkstatt@rosenberg-wila.ch). Dadurch soll verhindert werden, dass die noch vorhandene Vielfalt an Nusssorten weiter verringert wird.
 
Im Informationszelt, in dem auch Slow Food vertreten war, auf den Zusammenhang zwischen Konsum und bedrohter landwirtschaftlicher Kultur aufmerksam machte und tatkräftig Gegensteuer gab, waren auch Nussknacker-Neukonstruktionen zu sehen und Nussöle zu degustieren.
*
Ich nahm dann eine Tüte mit heissen, ganz heissen Marroni mit auf den Weg. Das kühle Wetter mit Temperaturen um 10 °C und der Hochnebel erhöhten den Genuss. Der warme Marroniduft und der süssliche Geschmack der warmen Früchte zeigten, dass auch die Tage nach der (an sich überflüssigen) Zeitumstellung auf die Winterzeit ihre höchst angenehmen Eigenschaften offenbaren.
 
Quellen
„Cheschtene-Zytig“, 2008/09 (www.kastanien.net)
Heusser, Sibylle (Herausgeberin): „ISOS. Ortsbilder von nationaler Bedeutung“, Kanton Luzern, Band 2, Bundesamt für Kultur (BAK).
 
Hinweis auf eine Fachpublikation
Die Eidgenössische Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau (heute: ZHAW) in CH-8820 Wädenswil hat einen Sonderdruck aus der Schweizerischen Zeitschrift für Obst- und Weinbau 6-1999 herausgegeben: „Edelkastanien: Anbau – Verwertung – Sorten.“ Darin werden auch neue Kastaniensorten für das Gebiet nördlich der Alpen wie Brunella, Marowa, Golino und Bouche de Betizac vorgestellt.
 
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