Textatelier
BLOG vom: 07.10.2008

England: Der Zyklon durchbraust Wirtschaft und Politik

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Der Herbst ist da, und im Zyklon fallen Blätter und Banken. Ich wische hier kunterbunt einige aus dem englischen Pressewald zusammen:
 
Eine Bank nach der anderen kracht zusammen. Verlieren deswegen die fetten Katzen ihre überfüllten Fressnäpfe? Mitnichten. Steuergelder werden verschleudert, um Banken zu retten. George Bush hat $ 700 Milliarden „durchgestiert", um die heiligen Kühe zu retten. Ohne nennenswerte gesetzliche Schranken, und angeführt von den Neoliberalen, konnten die US-Banken luderhaft ihre Kasinos betreiben wie sie wollten. Jetzt werden ihre wertlosen Hypotheken aufgekauft, ausgerechnet wenn sie nicht mehr als Altpapier wert sind. Das US-Beispiel macht Schule, zuerst in Island (jetzt im Sturzflug), dann in Griechenland, Belgien und Österreich und auch in Deutschland. Die Banken werden verstaatlicht und ihre Schulden ausradiert. Das Kapital wird in sichere Häfen verlagert; es entstehen also Fluchtgelder. In England wurde die staatliche Garantie für Ersparnisse von £ 35 000 auf £ 50 000 erhöht. England wird mithalten müssen und mit hundertprozentiger Garantie damit den horrenden staatlichen Schuldenberg noch weiter hochtreiben.
 
Welches sind die Auswirkungen? Noch höhere Steuerlasten, rasant anschwellende Arbeitslosigkeit, wenn Unternehmen der Pleite zutreiben. Der Konsument kann seine Kreditkarten-Schulden kaum mehr bewältigen, geschweige denn die Hypotheken. Wann werden die Versicherungen in diese Talfahrt mitgerissen? Aber das ist alles nichts Neues, da es im Schnitt alle Dutzend Jahre zur Krise kommt. Geht es der Lotterwirtschaft wieder besser, werden alle guten Vorsätze in den Wind geblasen. Hurra! der demokratische Kapitalismus ist wieder einmal gerettet. Die kriegerischen Abenteuer in Afghanistan und im Irak werden auf alle Fälle mit mörderischer Konsequenz weiter finanziert.
 
Halt! China hat andere, totalitäre Sitten und kann dem Westen schwer auf den Magen drücken. Schon jetzt beginnt die USA ihre Vormachtstellung als Reservewährung zu verlieren. Das nenne ich einen guten Anfang, wenn sich Risse im Globalisierungswahn auftun. Aber das ist kein Trost für den harten Winter, der die Ärmsten und Betagten besonders in England am härtesten trifft.
 
Inzwischen wird der grössenwahnsinnige russische Multimilliardär Roman Abramovich bald seine „Bismarck“ (halb so lange wie die „Bismarck“) als längste und grösste Yacht von Stapel lassen. Bezeichnenderweise hat er seine mit allem Komfort und Schikanen à la James Bond ausgerüstete Privatyacht „Escape“ (Entweichen, Flucht) getauft.
 
Ein neues Furore ist in Grossbritannien entfacht, weil der Premier Gordon Brown ausgerechnet seinen einstigen Feind, den stark angeschlagenen und dubiosen Ränkeschmied Peter Mandelson zum 3. Mal als „Business Secretary“ ins Kabinett berufen hat. Zweimal musste Mandelson, auch „Prince of Darkness“ genannt, resignieren, zuerst in 1998, als er ein Darlehen von £ 373 000 von Geoffrey Robinson, PM, zum Hauskauf angenommen hatte, und dann in 2001, als er dem indischen Mogul Srichand Hinduja zur britischen Staatsbürgerschaft verholfen hatte, nachdem dessen Familie £ 1 Million für den Millennium Dome spendete. Das ist voraussichtlich die letzte Karte, die Brown ausspielen kann, um etwas länger an seinem Posten zu kleben. Die Kluft innerhalb Labour wird sich vertiefen. Der Chefredakteur von der „Sunday Times“ nannte dieses Mätzchen behutsam: „A gamble that seems destined to fail“ (Ein Spiel, das fehlschlagen mag).
 
Eine weitere Titelüberschrift ist in diesem Zusammenhang bezeichnend: „Exit the awful Ian Blair, re-enter the awful Mandelson“ (Weg geht der furchtbare Ian Blair, herein kommt wiederum der furchtbare Mandelson). John Boris (Mayor von London) hat Sir Ian Blair, Metropolitan Polizei-Chef, zu Fall gebracht – Sir Blair, der letztlich für die Erschiessung des unschuldigen brasilianischen Elektrikers Jean Charles Menezes verantwortlich ist. Menezes wurde 2005 in der Untergrundstation Stockwell von der Polizei mit 6 Kugeln erschossen. Sir Blair hat noch mehr auf dem Kerbholz – und ich trug auch eine Kerbe dazu bei, da ich ihn zu seiner Ernennung mit einem Blog bedacht hatte … Genug der Politik.
 
Zum Überwachungsstaat England habe ich mich verschiedentlich geäussert. Ausgerechnet im Land, das sprichwörtlich das Gebot „My home is my castle“ heiligte, ist eine perfide neue Initiative, vom Sir David Pepper, Direktor von GCHQ, der geheimen Regierungsstelle für Überwachung in Cheltenham, angepeilt, wonach jedermann behorcht und bespitzelt werden soll, sei es übers Handy, Textkommunikation (text messages) oder Internet, ohne eine Einwilligung einholen zu müssen. Bereits wurden £ 5 Milliarden seitens der Regierung für dieses streng geheime Projekt (Deep Packet Inspection Equipment) eingeräumt. Der Bürger wird, wenn dieser letzte Streich gelingt, elektronisch von allen Seiten unentrinnbar umzingelt sein – CCTV, elektronische Dateien aller Unart (wovon immer wieder Kopien verloren gehen …) usf. Pfui Teufel! Die Presse hat dieses Wespennest entdeckt und zerrt es jetzt zum Glück ins Rampenlicht der Öffentlichkeit.
 
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