Textatelier
BLOG vom: 22.09.2008

Hyperhypokrise: Globalisierung und freie Marktwirtschaft tot

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Ein weiterer Beweis war zweifelsfrei nicht mehr nötig. Aber selbst wenn es eines solchen bedurft hätte, wäre er jetzt besonders eindrücklich erbracht: Die neoliberale Globalisierung ist eine katastrophale Fehlkonstruktion, die eindeutig, nachweislich ins Verderben führt. Sie hat nicht nur das ins Monströse gewachsene Bankengewerbe ruiniert und unter die Oberherrschaft der in Washington und New York domizilierten Geschäftsleitung des globalen Dorfs gebracht, sondern wird gerade auch noch die Weltwirtschaft zunehmend in den Abgrund ziehen, so weit dies nicht schon geschehen ist. Ein Traditionsunternehmen nach dem anderen macht dicht; im Moment ist die Alitalia-Fluggesellschaft an der Reihe. Das traditionelle Bankenwesen ist in Auflösung begriffen. Die Banken trauen sich nicht einmal mehr gegenseitig über den Weg. Der Konzentrationsprozess liegt zwar auf der Linie, welche die Schaffung einer Einheitswelt unter US-amerikanischer Oberherrschaft vorsieht, für die Weltbevölkerung aber ist das ein Desaster.
 
In meinem 2005 erschienenen Buch „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“ habe ich im Kapitel „Ausgehebelte Staaten“ (Seite 55 ff.) die damalige Lage wie folgt beschrieben: „Andere Zeiten, andere Sitten und Eliten. Die entsprechenden Erfahrungen liegen vor: Globalisierende Manager haben durch folgenschwere Fehler Milliarden von Anlagevermögen vernichtet und Arbeitsplätze zerstört. Misswirtschaft wegen gnadenloser Profitmaximierung bei astronomischen Managergehältern haben viele traditionelle Unternehmen ruiniert, die nicht einfach die Preise erhöhen konnten. Dann werden einfach die Manager ausgewechselt.
 
Das unmoralische Verhalten von vielen Grosskonzernen hat nicht nur den Arbeitnehmern und Anlegern riesigen Schaden zugefügt, sondern auch diesen Unternehmen selber (…). Für einen noch ausgeweiteten Aktionismus in dieser Richtung besteht keinerlei Bedarf. Das Wirtschaftsinteresse darf nicht länger über das Allgemeininteresse gestellt werden. Heiner Geissler: ,Der Kapitalismus liegt derzeit genauso falsch wie einst der Kommunismus.’
 
Das ist genau jener amerikanische Kapitalismus, den der US-Notenbankchef und rabulistische Börsenmanipulator Alan Greenspan 1998 zum ,globalen Standard’ erklärt hatte – und die ganze Welt kuschte, wie üblich.“
 
Das war 2005 – man hätte es auch schon früher schreiben können. Ich verfüge sicher nicht über besondere prophetische Gaben; doch der ganze Unsinn war mit einem normalen Menschenverstand ohne Weiteres schon längst vorauszusehen. Umso peinlicher ist es für all die Geistesgrössen, zum Beispiel jene aus der Bankenlandschaft, die ganze Heerscharen von „Analysten“ und Controllers beschäftigten, die sich vollkommen lächerlich gemacht haben und volle Ahnungslosigkeit deklarierten. Zu diesem dilettantischen Klüngel gehören auch jene Medien, die sich den Geschäftemachern unterworfen und eine kritische Information nur im Hinblick auf Länder und Institutionen zugelassen haben, die sich dem US-Diktat widersetzten. Sie bleiben auch jetzt, wo die grösste Verstaatlichung aller Zeiten stattfindet, ihrem Stil treu: Jetzt wird der Staat USA gefeiert, weil er das von ihm inszenierte und zugelassene gigantische Schuldendebakel jetzt nutzt, um das Bankenwesen unter seine Kontrolle zu bringen; denn wenn er bezahlt, wird er auch befehlen.
 
700 Milliarden USD sollen vorerst für 2 Jahre zum Zusammenkauf von wertlosem Schrott und deren Einlagerung in einen „Treuhandfonds“ eingesetzt werden. Dabei sind die USA selber eine konkursite Nation; jetzt soll die Staatsverschuldung von 10,6 auf 11,315 Billionen (und nicht etwa Milliarden) abgehoben werden können – bei schwächelnder Wirtschaft – siehe eingebrochene Dreckschleuder-Produktion (Autogewerbe). Da läuft alles der finanziellen Kernschmelze entgegen. Die sich aufdrängende Lehre: Hütet Euch vor Dollars und Fonds und Derivaten (strukturierten Produkten), die irgend einen Bezug zu den USA haben.
 
Was die Amerikaner machen, so lange sie die Folgen selber betreffen und diese tragen, geht uns nichts an. Der Gipfel der Anmassung ist aber, wenn ihre Adlaten im Abendland als Nato ihre verlorenen Kriege ausbaden müssen. Und bei der jetzigen Rettungsaktion als Folge des bisherigen unverantwortlichen US-Lebens weit über die eigenen Verhältnisse und Mittel hinaus versucht die US-Regierung, ausländische Staaten, die davon ohnehin genug gebeutelt sind, schon wieder in Pflicht zu nehmen. Die anmassende US-Regierung, welche die Weltherrschaft innezuhaben glaubt, hat nun ähnliche „Rettungsaktionen“ auch in anderen Ländern verlangt. Das geht aus einem am Sonntag, 21.09.2008, erlassenen „energischen“ Aufruf von US-Finanzminister Henry Paulson hervor, welcher nun eine noch nie da gewesene Machtfülle geniesst; die USA wollen energisch dafür werben … was im Klartext etwa heisst, dass bestraft wird, wer nicht mitmacht. Der Stil ist wohlbekannt. Laut US-Medienberichten sollen bereits Deutschland, Japan, Grossbritannien und andere Staaten entsprechend bearbeitet worden sein. Das ist im Klartext noch schlimmer als es aussieht: Die hereingefallenen Banken kommen nicht in den Genuss der 7oo-Milliarden-Rettungsaktion, bleiben auf ihrem gebündelten US-Sondermüll sitzen und sollen sich bitte selber helfen. Selbst der US-Busenfreundin Angela Merkel aus Deutschland gehen solche Anmassungen nun zu weit. Auch dem britischen Premier Gordon Brown, US-Helfershelfer vom Dienst, fielen die Schuppen von den Augen: „Wir zahlen dafür, was in den USA passiert ist.“
 
Dem amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stigliz ist ob all dem faulen Zauber der Kragen geplatzt. Zur „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ sagte er, was da den Steuerzahlern zugemutet werde, sei „ungeheuerlich“. Zudem sei die US-Regierung vor kurzem nicht in der Lage gewesen, einige Milliarden Dollar für Kinder ohne Krankenversicherung lockerzumachen. „Ich frage mich, was ist das für eine Gesellschaft, in der wir zwar 85 Milliarden Dollar für AIG haben, aber nicht für kranke Kinder? Das macht mich wütend."
 
Geradezu rührend ist es, wie sich der masslos blamierte Medienmainstream und die in die Supranationalität eingebundenen Politiker, die den Mut zu einer Widerrede gegen die USA nicht aufbringen, wieder herauszuwinden suchen. Mit besonderer Inbrunst tat dies der deutsche Bundesfinanziminister Peer Steinbrück – sein Zitat steht hier für viele: „Es ist der Zeitpunkt gekommen, wo ich glaube, dass auch von dieser Stelle aus dem amerikanischen Finanzminister Hank Paulson ein grosser Dank abgestattet werden muss, dass sein Krisenmanagement massgeblich zur Stabilisierung der Finanzmärkte in diesen Wochen und Monaten beigetragen hat." Schon wieder sind die USA die Grössten. „Das Krisenmanagement der Behörden und der Banken funktioniert", hiess es in vielen Abwandlungen – nachdem viele Banken ruiniert oder am Rande des Ruins waren wie die UBS, die sich im letzten Moment noch auffangen konnte. Und „positive Folgen für die Schweiz“, ortete gar der Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer, der zweckoptimistisch vermutet, dass der Finanzplatz Schweiz von den Turbulenzen an der Wall Street profitieren könnte. Ganz gross gefeiert werden die Finanzaufsichtsbehörden, die jetzt endlich gegen die Spekulationswelle vorgehen (Leerverkäufe-Verbot und Massnahmen gegen böswillig gestreute Gerüchte und hoffentlich gegen kreditschädigende „Studien“ wie jene von Bernstein Research), nachdem das Elend schon da ist. US-Finanzminister Henry Paulson wird gelobt, weil er das Wachstum wieder fördern will – Wachstum in alle Ewigkeit auf einer begrenzten Erde, das sich ja gerade als verheerender Irrtum ausgewirkt hat. Und das Vertrauen in Fonds soll wieder gestützt werden, auf dass wieder neue Anleger frohen Muts darauf hereinfallen.
 
So werden nun die gebündelten, unter falschen Deklarationen verramschten faulen Kredite vom Staat USA gekauft, neu gebündelt und, wenn das Vertrauen mit Hilfe von Werbeagenturen und Spin doctors wiederhergestellt sein wird, wieder unters dumme Volk gebracht. Es wird wieder hereinfallen, auch die Banken, von denen ich bisher kein einziges Wort gehört habe, dass der oberfaule Zauber jetzt durchschaut sei und man sich hüten werde, auf neue US-Gaunereien hereinzufallen. Nur das könnte wirkliches Vertrauen schaffen. Es schon dumm genug, eine Dummheit einmal zu machen, noch viel dümmer aber ist es, die gleichen Dummheiten in Serie zu begehen und sich immer aufs Neue blenden und sich hinters Licht führen zu lassen.
 
Das bisherige Fazit:
• Die neoliberale Globalisierung nach US-Muster hat sich als ein gigantischer, verhängnisvoller und zerstörerischer Irrweg herausgestellt. Wer dem nach all den Ereignissen der letzten Monate und Jahre widerspricht, auch was das Anwachsen des weltweiten Elends (Armut, Flüchtlingsströme) anbelangt, trägt Scheuklappen von Übergrösse und kann nicht Ernst genommen.
• Wer behauptet, die freie Marktwirtschaft reguliere sich und alles selber, lügt. Von diesem dummen Allgemeinplatz muss man sich jetzt verabschieden.
• Die Liberalisierung öffentlicher Dienste darf nicht der demokratischen Kontrolle entzogen werden – in der Schweiz drohen deswegen zum Beispiel Elektrizitätspreisaufschläge gegen 30 %, wahrscheinlich bei einer zerfallenden Infrastruktur.
• Die Wirtschaft muss auch in Bezug auf das Grössenwachstum umlernen und ein qualitatives Wachstum, das Stabilität gewährleistet, anstreben. Sie darf nicht dem Gigantismus erliegen und dadurch die Gefahr heraufbeschwören, dass macht- und raffgierige US-Gewaltige die Oberaufsicht im globalen Entenhausen erhalten beziehungsweise behalten und alle Völker unterdrücken und erniedrigen.
 
Es reicht allmählich.
 
Buchhinweis
Hess, Walter, und Rausser, Fernand: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com GmbH, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7. CHF 37.20, EUR 24,10.
 
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