Textatelier
BLOG vom: 26.08.2008

Der Kosovo, Südossetien, Abchasien und die Konsequenz

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Die Verlogenheit und Inkonsequenz der Politik der westlichen Wertegemeinschaft einerseits und der Russen anderseits wird am Musterbeispiel des russisch-georgischen Konflikts wieder einmal auf dem Serviertablett serviert. Marcelo Kohen, Professor für Internationales Recht in Genf, brachte die heftige Auseinandersetzung, die bis zu einem mehrtägigen Krieg ausartete, auf den entscheidenden Punkt: „Welches Recht hat ein Staat, der das Kosovo anerkannt hat, von Russland nun die Anerkennung der territorialen Einheit Georgiens zu verlangen?“ Die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey machte sich seinerzeit eine Ehre daraus, den von Serbien abtrünnigen Kosovo als Erste anzuerkennen, ganz im Sinne der US/EU-Vorgaben, um den vorauseilenden Gehorsam einmal mehr unter Beweis zu stellen. Und jetzt tut sie es schon wieder, sich windend, sich herausredend, wie die übrigen westlichen Regierer auch. Gegenüber Radio DRS vernebelte die Bundesrätin am Dienstagmittag, 26.08.2008, die Ereignisse im Kaukasus mit der Ausrede, die Unabhängigkeitserklärungen Kosovos und Südossetiens seien halt eben nicht vergleichbar. Im Kosovo sei schon seit langer Zeit ein internationaler Prozess im Gang gewesen. Dabei sei die Unabhängigkeit immer eine Option gewesen. In Südossetien habe es hingegen keinen Friedensprozess gegeben. Die OSZE habe dort lediglich ein Beobachtermandat.
 
Merkwürdig: Südossetien und Abchasien hatten sich nach dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre in Bürgerkriegen von Georgien abgespalten und wurden zu Konfliktherden. Da war die Unabhängigkeit offenbar mehr als eine Option – seit Jahren. Südossetien hatte sich zudem Ende 1991 als unabhängig erklärt. Die Regierung versuchte, dies mit Volksabstimmungen – 1992 und zuletzt 2006 – zu untermauern. Russland kollaborierte zum Ärger Rest-Georgiens mit diesen Gebieten. Frau Calmy müsste das eigentlich wissen. Aber das passt ihr gerade nicht ins Konzept; das würde die mühselige, ständige Politikerarbeit des Herausredens nur erschweren.
 
Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht vergleichbar, Volkswillen hin oder her. Auch demokratische Entscheide werden nur akzeptiert, wenn sie dem US-amerikanisierten Westen in den Kram passen – siehe Wahlerfolg der Hamas in Palästina, welche bei der Wahl vom 25.01.2006 die absolute Mehrheit der Mandate im palästinensischen  Legislativrat erzielte. Da galt die Demokratie überhaupt rein gar nichts.
 
Intelligenteres und sachlich einigermassen Zutreffenderes gab der Schweizer Politikwissenschafter, Europarat-Wahlbeobachter und Nationalrat Andreas Gross von sich, ein Parteikollege von Calmy (Sozialdemokraten) übrigens: Dass die beiden Gebiete künftig definitiv nicht mehr zu Georgien gehörten, bekräftige eine UNO-Resolution aus dem Jahr 1990. Sie besagt, dass ein Staat das Souveränitätsrecht über ein Gebiet verwirken kann, wenn er dieses über Jahrzehnte unterdrücke. Das sei in Südossetien der Fall ‒ und im Kosovo. Zitat-Ende.
 
Zwar könnte die Sache mit der Unterdrückung des Kosovos meiner Ansicht nach eine Differenzierung sehr wohl ertragen; es ging dort um die Rohstoffe und den einträglichen Rauschgiftumschlagplatz – und zudem um die Sicherung des westlichen Einflusses sowie des riesigen US-Stützpunkts; feinfühlige menschliche Regungen waren bei den politischen Gutmenschen, die merkwürdigerweise nicht auf die Achse der Bösen geraten sind, dort weniger im Spiel.
 
Nicht schlecht tönt dafür dieser Satz Gross’: Der Verlust der beiden Regionen sei der Preis, welcher der georgische Staatspräsident Michail Saakaschwili für seine Torheit bezahle, den Krieg begonnen zu haben.
 
Das ermöglicht einen wunderbaren Übergang: Die Torheit ist eine ständige, feste Begleiterin der Politik, wie seit der Bush-Junior-Ära in einer bisher noch nie gekannten Auffälligkeit zu beobachten war. Und dieser von Narreteien, Aggressionen und Machtmissbrauch geprägte US-Stil hat seither global um sich gegriffen. Die Politiker, die klar sehen, sind rar geworden. Zu ihnen gehört der tschechische Präsident Vaclav Klaus, der aus guten Gründen eine Parallele zwischen der jüngsten Krise in Georgien und der Unabhängigkeitserklärung des Kosovos gezogen hat. Laut seiner Erkenntnis hat die Tatsache, dass viele Staaten die Abspaltung des Kosovo von Serbien unterstützt haben, Moskau einen Rechtfertigungsgrund gegeben, seinerseits separatistische Kräfte zu unterstützen. Er zeigte sich besorgt darüber, dass die Unabhängigkeit des Kosovos langfristige Konsequenzen für den Umgang mit ähnlichen Konflikten in aller Welt haben könnte ... Aber das ist jetzt bereits widerlegt – Geradlinigkeit ist nicht Sache der Politik.
 
Der Vorsitzende des tschechischen Abgeordnetenhauses, der Sozialdemokrat Miloslav Vlèek, zog ebenfalls Parallelen zum Kosovo-Konflikt: „Die gleichen Politiker, die die geografische Integrität und Souveränität Serbiens nicht respektierten, fordern nun Russland auf, die geografische Integrität und Souveränität Georgiens zu respektieren. Die gleichen Politiker, die auf das Recht der albanischen Mehrheit in Kosovo, einen eigenen Staat zu gründen, hinwiesen, bezweifeln nun das Recht der Mehrheit der Südosseten für eine weitreichende Autonomie, gegebenenfalls für die Unabhängigkeit oder den Anschluss an Nordossetien und die Russische Föderation.“
 
Ein Doppelspiel hat in dieser Sache zwar auch Russland gespielt, das die abtrünnigen Gebiete anerkannt hat und vorher von einem „Genozid an den Südosseten“ gesprochen hatte. Auch hier möge der Kosovo zur Urteilsfindung beitragen: Das russische Parlament hatte die Anerkennung des Kosovo durch westliche Staaten kritisiert und als Schlag gegen die territoriale Unversehrtheit Serbiens gegeisselt – und zwar mit Recht. Auch der Alleingang Tschetscheniens wird seit je blutig verhindert. Und nun wurde auch im Kreml die konsequente Linie verlassen; jetzt ist plötzlich von einem Selbstbestimmungsrecht der Völker die Rede und um den Zwang, die Aggressionen Georgiens an Osseten und Abchasen zu beenden.
 
Ja, nichts ist so verschieden wie das Ungleiche. Politiker können in einer richtigen Demokratie alle werden, wenn ihnen die Gestirne günstig gesinnt sind. Die Beherrschung des logischen Denkens und Folgerichtigkeit im Argumentieren und Handeln sind keine Voraussetzung dafür. Wo kämen wir denn hin!
 
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