Textatelier
BLOG vom: 14.08.2008

Irland-Impressionen 2: Die Exoten-Gärten von Powerscourt

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Sie gelten als Inbegriff einer kultivierten englischen Parklandschaft: die Powerscourt-Gärten in Enniskerry in der irischen Grafschaft (Provinz) Wicklow. Die Gegend ist neben ausladenden Weideflächen und Golfrasen mit Eichen, Buchen und Stechpalmen bewaldet, und exotische Gewächse aus subtropischen Gegenden sind in ausgedehnten Pärken Beweisstücke für das milde Klima, das sich im Jahresverlauf meistens zwischen 0 und 20 °C bewegt.
 
Die berühmte Gartenanlage befindet sich nur ein paar hundert Meter vom Ritz-Carlton-Hotel entfernt. Eine kleine Wanderung durch den riesigen Hotelpark mit den alten Bäumen, deren Umgebung zum Rasen rasiert wurde, führt zu diesem Schaustück unbändigen menschlichen Gestaltungswillens. Bald erreicht man das Powerscourt-Haus, ein im besten englischen Stuck- und Countrystil erbautes granit-graues Gebäude, eine höchstens 4-stöckige, lang gezogene Anlage mit vielen Kaminen. Sie erinnert an die Kolonialgeschichte der vergangenen Jahrhunderte. Die 3 U-förmig angeordneten Wohnblöcke sind von Burgmauern umgeben, ein Hinweis darauf, dass es hier nicht immer friedlich zuging. Tatsächlich befindet sich die Anlage, deren Anfänge aufs 13. Jahrhundert zurückgehen, an einer strategisch bedeutenden Stelle im Bereich der Wicklow-Berge mit ihren Granitgipfeln wie dem besonders auffallenden Great Sugar Loaf Mountain. Die altirische Vorgänger-Burg von O’Toole, dem Lord of Glencullen, war ein wichtiger strategischer Stützpunkt der Anglonormannen, die am Ende des 12. Jahrhunderts in Irland einwanderten. Vor hier aus konnten die Verkehrswege zu den Gebieten bei den Flüsschen Dargle, an dem sich der 130 m hohe, grösste Wasserfall Irlands befindet, Glencree und Glencullen kontrolliert werden. Dementsprechend war die Anlage auch gefährdet. Sie befand sich im Besitze der Familie Poer (Power) und wurde immer wieder angegriffen, was zu einem ständigen Wechsel von Zerstörung und Wiederaufbau führte, jedenfalls bis 1731.
 
Im Jahre 1603 war die Liegenschaft dem Engländer Richard Wingfield zugesprochen worden. Er hatte sein Vermögen im Rahmen einer einträglichen militärischen Karriere in Irland, Flandern, Frankreich und Portugal gemacht, wurde zunächst zum Ritter geschlagen und 1600 zum Marshall von Irland berufen. Wingfield (1697‒1751) beauftragte den deutschstämmigen Architekten Richard Castle (1695‒1751), der auch die beiden Parlamentshäuser in Dublin entworfen hat, die Burg in einen Landsitz umzugestalten, in ein Herrenhaus im georgianischen Stil. Dieser bediente sich der architektonischen Elemente der alten Griechen und Römer in grosszügiger Weise und führte somit zu einer Renaissance von Pilastern und Zierbögen sowie besonders üppig hervorgehobenen Eingängen – was in ganz Irland auch im kleineren Format noch heute gang und gäbe ist: ein Pseudoklassizismus, dessen Elemente nach meinem persönlichen Empfinden etwas aufgesetzt wirken. Es scheint, als wollten die Architekten ihr (I.A.G. = In Athen gewesen) ebenso dokumentieren wie heutige Menschen, die ihr I.A.G. (= In Amerika gewesen) mit Stolz der Unterschrift wie ein akademischer Titel anfügen.
 
Die Nordfassade des Powerscourt-Hauses wurde zum Eingangsportal, diesmal im palladianischen Stil, umgestaltet. Diese vom italienischen Baumeister Andrea Palladio (1508‒1580) eingeführte architektonische Modeerscheinung („palladinischer Klassizismus“) lehnt sich ebenfalls an die Antike an; sie ist durch eine strenge, aber monumentale Verwendung römischer Bauformen gekennzeichnet. Die Südfassade ihrerseits, welche dem italienischen Garten zugewandt ist, war ursprünglich nur 2 Etagen hoch, bis dann 1787 eine zusätzliche Etage aufgesetzt wurde. Weitere Umbauten folgten gegen das Ende des 19. Jahrhunderts. Das Haus war angeblich mit einer vollendeten Innenausstattung versehen.
 
Das Herrenhaus bzw. das Besitztum (Estate) wurde 1961 vom 9. Viconte (Adelstitel zwischen Graf und Baron) an die Slazenger-Familie verkauft. Es wurde restauriert und 1974 für die Öffentlichkeit geöffnet. Doch noch im gleichen Jahr, am 4. November, brannte das Haus nieder; vom Hauptgebäude blieb nur noch die Mauer stehen; Gesellschaftsräume und Zimmer wurden zerstört. Ab 1996 wurde das Bauwerk restauriert – unter Einbezug von Verkaufsläden mit Souvenirs, einem Restaurant mit Terrassencafé und anderen Einrichtungen für Besucher. Auch der grosse Tanzsaal wurde restauriert, insbesondere die Backsteinwände mit einigen im oberen Teil zugemauerten Fenstern, welche die Zerstörungen überlebt hatten, eine von aufrechtstehenden Rohren getragene Empore und dem Lattenboden aus Holz. Die ebenerdigen, romanischen Rundbogenfenster sind von Säulen mit ionischen Kapitellen, welche die Backsteinwände tragen, begleitet.
 
Am 08.08.2008, als eben die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Peking alle TV-Kanäle beherrschten, entschloss ich mich zu einer Garten-Besichtigung, für die uns etwa 3 Stunden Zeit blieb. Wir hätten die olympischen Zeremonien im Ritz-Carlton Powerscourt sogar von einem in den Badezimmerspiegel eingelassenen Fernsehschirm geniessen können – denn man soll ja beim Zähneputzen nicht auf den TV-Konsum verzichten müssen … Doch waren wir nicht nach Irland geflogen, um uns hier einem standardisierten Medienkonsum hinzugeben.
 
Also wanderten wir bei vorerst noch bedecktem Himmel, aber hellen, ausgeglichenen Lichtverhältnissen, ideal fürs Schauen und Fotografieren im Freien, zu den Powerscourt Gardens (www.powerscourt.ie). Der Eintrittspreis (8 Euro) erschloss uns nach dem zügigen Durchqueren der Souvenirshops die riesige Gartenanlage, die ihren Anfang in den 1730er-Jahren nahm. Ähnlich wie bei Le Corbusiers Ronchamp-Kapelle bestand auch hier das Bestreben, die umgebende Landschaft einzubeziehen, was meines Erachtens eine Voraussetzung für jede architektonische Aktivität sein müsste, aber mit den Jahren ausser Mode kam und einer rücksichtslosen Selbstverwirklichung zu weichen hatte. Und wenn nötig kann auch die Landschaft der Anlage angepasst werden, wenn sie bestimmten Effekten im Wege steht. Und das ist hier geschehen.
 
Im Norden und Osten ist das Haus von einem mächtigen Waldgürtel umfangen, und westlich sind die eingefriedeten Gärten mit einem riesigen, geschmiedeten und mit Gold verzierten, venezianischen Eingangstor. In der Hauptblickrichtung nach Süden ist der italienische Garten mit den Skulpturen und schmiedeeisernen Toren. Eine breite Treppe mit Kopfsteinpflastern, in die geometrische Kieselmosaike aus weissem Geröll vom nahem Strand eingearbeitet worden sind, führt über mehrere Terrassen zum grossen Teich mit Fontäne (Triton Lake), der mit 2 lebensgrossen Pegasussen (geflügelten Pferden) garniert ist. Sie regen gewissermassen zu einem Ritt auf dem Pegasus an – das heisst zum Versuch, sich als Dichter zu betätigen. Wer die richtigen Worte nicht findet, kann dies alles einfach als unbeschreiblich schön bezeichnen; denn das stimmt ja auch. Auf den Rasen karrten grosse Motormäher herum. Hier hat nicht die Natur, sondern der Mensch das gestalterische Sagen, wie auf der grossen Nachbarinsel England vielfach auch; die vielen Hecken, welche die Grundstücke und Landwirtschaftsflächen dort umfassen, sind wertvolle Lebensräume. Die im Powerscourt-Garten gepflanzten Bäume überlebten die Jahrhunderte, zwangen der Anlage ihre Formen auf und sind heute zum Teil botanische Sensationen.
 
Die Gestaltung des italienischen Gartens geht auf den Landschaftsgestalter Daniel Robertson zurück, offensichtlich ein grosszügiger Planer, der auch vor umfangreichen Erdbewegungen nicht zurückschreckte und das Gelände vor dem Haus zuerst einmal terrassieren liess, um auch unter Einbezug der 3. Dimension gestalten zu können. In einem Orientierungsblatt, das an der Kasse zu beziehen ist, steht, Robertson habe schwer unter Gicht gelitten; er sei täglich in einer Karrette zum Ort des baulichen Geschehens geführt worden und habe seine Anweisungen, ausgerüstet mit einer Flasche Sherry, von hier ausgegeben. Wenn sich der Flascheninhalt zur Neige geneigt habe, näherte sich auch der Arbeitstag seinem Ende. Koordination ist alles. Dank des Alkohols war auch Gewähr vorhanden, dass sich die Gicht weiterentwickeln konnte.
 
Nach dem Tod des 6. Vicomte (1844) ruhten die Umgestaltungen im Gartenareal vorübergehend, das heisst bis in die späten 1850er-Jahre. Dann wurden die Terrassen vollendet und weitere Bäume gepflanzt. Hinzu kamen Statuen und schmiedeeisernes Zierwerk, so dass sich das Schaustück bis 1904 grundlegend verändert hatte. Die Winfield-Generationen (ab Nr. 8) hielten die Gartenanlage in Stand und erweiterten sie durch einen japanischen Garten, der fast japanischer noch als die Gärten in Japan selber herausgekommen ist. Er ist tiefer unten, südlich des Tritonsees, wo früher eine Moorlandschaft war, anzutreffen. Das ist eine wasserreiche Vertiefung mit einer Pagode und Steinlaternen sowie kleinen Bogenbrücken über einen Bach. Eine Grotte aus dem 18. Jahrhundert wurde aus versteinertem Sphagnummoos erbaut, das eine Ähnlichkeit zu unseren Tuffsteinen hat; dieses verhärtete Moos wird gelegentlich als Terrariengrund für feuchtigkeitsliebende Reptilien und Amphibien verwendet. Und dekorative Pflanzen wie der japanische Ahorn, Azaleen und chinesische Glückspalmen (Trachycarpus fortunei) fühlen sich in diesem Garten offensichtlich gut aufgehoben. Wasser perlt von den Hängen, und ein Bächlein fliesst vorbei. Romantisch.
 
Über konzentrische Pfade kann der Japan-Garten aus verschiedenen Perspektiven in seiner ganzen Symbolkraft betrachtet werden. Der innere Kreis steht für die Entdeckung unseres innersten Seins, und die äusseren Pfade wollen in die tiefere Erkenntnis der umgebenden Welt hineinführen. Das kann individuell interpretiert werden.
 
Diese nähere Umgebung besteht aus vielen uralten Bäumen und Baumgruppen wie Zypressen, Pinien, Eukalypten bis zum Zimtahorn (Acer griseum). Viele davon befinden sich im kleinen Turmtal im Ostteil der Parkanlage, über dem sich der Pepper Pot Turm befindet, so etwas wie ein monumentaler Pfefferstreuer für überbordete Gewürzliebhaber. Er wurde 1911 in Erinnerung an einen Besuch des Prinzen von Wales errichtet. Eine Eisentreppe führt in seinem Innern aufs Dach, von wo aus man eine schöne Aussicht zu den vielfarbigen und vielgestaltigen Bäumen und bis zum Hauptgebäude geniessen kann. Der hier anzutreffende Baumbestand, in dem Blautannen das Grün anderer nordamerikanischer Nadelgehölze aufzulockern haben, wurde in Daniel Robertsons Plan von 1843 als „der Privatweg des Viscounts und der amerikanische Garten“ beschrieben.
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Ein köstliches Detail des Gartens ist der kleine Tierfriedhof („Pets Cemetery“), der sich an einer Hanglage befindet und der zur Begeisterung der Iren für Gräber und Friedhöfe wunderbar passt. Unter regelrechten Grabsteinen sind hier die beliebtesten Haustiere der Familien Wingfield und Slazenger neben prachtvollen Bäumen, Azaleen- und Rhododendrenbüschen beigesetzt. Hier ist „In loving memory“ unter anderem die Erinnerung an einen Dackel verankert. Und auch das Andenken an die 1967 im Alter von bloss 17 Jahren allzu früh verstorbene Kuh „Eugenie“, die „over 100 000 gallons of milk“ gespendet hatte, ist hier gewahrt. Auch einer anderen preisgekrönten Kuh („Princess“) wird hier ehrend gedacht.
 
Man kann dies alles als skurrile Parodie auf die menschliche Friedhof-Kultur empfinden oder aber sich freuen, dass hier auch Tiere eine hohe Wertschätzung genossen haben. Mir gefallen beide Auslegungen gleichermassen.
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Doch waren wir ja nicht wegen einer Beerdigung, sondern wegen einer Hochzeitsfeier in diesen östlichen Teil von Irland gekommen. Und in diesem Zusammenhang erlebten wir den Park noch einmal: Nach der kirchlichen Feier in Kilquade traf man sich im italienischen Garten zum Aperitif. Der Bräutigam Louis fuhr im Hochsitz eines riesigen Traktors vor – ein alter Knabentraum war ihm von seiner Braut Claudia erfüllt worden. Aber auch im Übrigen bestand an Fotomotiven kein Mangel, auch hinsichtlich der Aufmachung der Hochzeitsgäste. Viele Damen trugen bunte Hüte, deren Krempen zum Teil auch den nötigen Sonnenschutz boten. In dieser festlichen Atmosphäre trank man einen trockenen Champagne-Wein aus dem Hause Deutz aus Ay, leicht, unaufdringlich, korrekt in Duft und Geschmack, und freute sich des Lebens, was dann im Fest- und Tanzsaal des Powerscourt-Hauses mit seinen enormen akustischen Qualitäten fortgesetzt wurde. Die angeregte festliche Atmosphäre war kaum noch zu überbieten.
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Irland bietet Raum, Licht und Anmut – Lebenselixiere erster Güte, zu denen auch wetterfeste Baumgreise im grünen Umfeld und Leichtigkeit suggerierende ionische Bauelemente gehören. Unter anderem.
 
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