Textatelier
BLOG vom: 12.07.2008

SMD Kölliken: Die Pandora-Büchse fliegt serienmässig auf

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Sicher: In der Sondermülldeponie Kölliken AG (SMDK) ist kein Arbeiten mehr, auch wenn viele Sicherheitsvorkehren bis zur vermeintlichen Perfektion getroffen worden sind. In einem hermetisch abgeschlossenen Schutzbau ohne Stützen – das Dach ist an einer halbrunden, gigantischen Eisenkonstruktion aufgehängt, die zum Wahrzeichen von Kölliken geworden ist – müssen 500 000 Tonnen Giftmüll ausgebuddelt werden. Sie befinden sich oben am grössten Grundwassergebiet der Schweiz und zeugen für die Weitsicht der damals Verantwortlichen …, die selbstverständlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden – weder die kantonal-aargauischen Instanzen (ehemaliges Baudepartement und Gewässerschutzamt), noch die verantwortlichen, teuren Ingenieure und die Einlagerer, abgesehen von der minimalen Kostenbeteiligung.
 
Auch aus dem Ausland (Süddeutschland) wurden übelste, undefinierte Gifte herangekarrt. Insgesamt herrschte eine verfluchte Schlamperei bei minimalen Kontrollen am Eingang der Deponie, die ich während der Einlagerungsphase als damaliger Redaktor und Betreuer des Ressorts „Wissenschaft/Technik“ des „Aargauer Tagblatts“ (AT) häufig besucht, fotografiert und beschrieben habe. Die überaus geduldigen Anwohner litten unter Kopfweh, Übelkeit, Schwindelgefühlen und Schlafstörungen … und Wissenschaft, Politik und Verwaltung wussten einfach nicht so recht, woher denn solche Beschwerden kommen konnten … ein Schwindel mehr.
 
Dass das alles nicht funktionieren konnte, war schon damals klar – ein einfaches Nachdenken genügte. Wenn die Tongrube über den Lockergesteinen der so genannten Kölliker Rinne dicht sein sollte, würde sie mit der Zeit des Regenwassers wegen überlaufen, und sonst versickern die Giftsäfte eben direkt. Und tatsächlich hat der giftige Saft den Weg in den Untergrund, wo das Grundwasser fliesst, problemlos gefunden, wie jetzt auch das Aargauer Baudepartement zugibt – es ist zur Zeit mit Personal bestückt, das für das Debakel nichts kann. Die ehemals Verantwortlichen sind nicht mehr im Amt, zum Teil verstorben – sie werden sogar noch reingewaschen, hätten „nach bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt, sagte der heutige Aargauer Baudirektor Peter C. Beyeler beim Buddelbeginn. Das ist Unsinn: An warnenden Stimmen und Presseartikeln hatte es nicht gefehlt. Kritiker wurden ignoriert und verspottet. Der damalige populäre Baudirektor Jörg Ursprung bezeichnete meine kritischen Artikel in Verballhornung meines Familiennamens im Rahmen einer Grossratsdebatte als „hessliche Artikel“. Ich war am Protokollieren fürs AT und schrieb pflichtbewusst dazu: „Heiterkeit." Einen Seelenschaden habe ich nicht davongetragen, zumal ich immer überzeugt war, dass mir die Entwicklung Recht geben würde.
 
Allerdings kam es weit schlimmer, als ich es mir auszumalen in der Lage war. Der von den besten Analysten nicht zu durchschauende Giftcocktail ist unter anderem derart explosiv, dass es in der Halle inzwischen bereits dreimal zu Bränden durch Selbstentzündung zum Beispiel von freiem Magnesium mit Sauerstoffkontakt gekommen ist, zuletzt in der Nacht auf den 26.06.2008 um 3:30 Uhr. In der Halle sollen sich eine gewaltige Feuersäule bis hinauf zur 8 m hohen Decke, wo eine Plastikfolie geschmolzen ist, und eine starke Rauchentwicklung gebildet haben. Bereits in der Nacht zum 05.03.2008 hatten sich Reste aus Fässern in einem offenen Container bei der Abbaufront entzündet.
 
Dass geborgene Deponiefässer plötzlich brennen, überrascht uns völlig", sagte Geschäftsführer Jean-Louis Tardent zu „Schweiz aktuell“. Die Heftigkeit solcher Brände zwinge dazu, das Sicherheitskonzept zu überdenken. Unter dem Einfluss von Chemikalien und Feuchtigkeit sind die meisten Fässer vollkommen durchgerostet, was zu erwarten war.
 
Tardent stoppte den Rückbau, weil durch mögliche Explosionen und Brände die in der Halle beschäftigten Arbeitskräfte in unzumutbarer Weise gefährdet wären – ein Glück ist, dass die bisherige Dreier-Brandserie bisher glimpflich abgelaufen ist. Ein Überdenken drängte sich wahrhaftig auf.
 
Allerdings hätte man solche Brände durchaus vorausahnen können, zumal es 1982, 3 Jahre vor der Schliessung, in der damals offenen Deponie schon zu einem Brand gekommen war, den die Feuerwehrmannen von Kölliken nur unter grösster Mühe bei selbstlosem Einsatz löschen konnten. In jenen Jahren kam es auch zu verschiedenen kleineren Bränden. Daraus ist zu schliessen, dass für das jetzige Sicherheitskonzept nicht alle bekannten Fakten berücksichtigt worden waren, es also seine liederlichen Komponenten hat. Auch der aargauische Regierungsrat hatte die Selbstentzündungen aus den 1980er-Jahren gerade nicht mehr präsent, als er am 16.02.2005 die Abschreibung eines Postulats von Johanna Haber, Menziken AG, ein sanitätsdienstliches Dispositiv zum SMDK-Rückbau betreffend, u. a. mit folgender Begründung empfahl: Die Analyse der mit dem Abbau der SMDK verbundenen Risiken zeigt, dass die potentielle Gesundheitsgefährdung nicht höher ist als diejenige in der Umgebung eines grösseren chemischen Betriebs; sie ist im Gegenteil kleiner. So kann z. B. kaum Giftgas in grösseren Mengen entweichen, es sind keine grösseren Brände und Explosionen wahrscheinlich und eine eventuelle Verschmutzung des Trinkwassers würde rechtzeitig festgestellt. Aus diesen Gründen sowie infolge der äusserst umfangreichen Sicherungsmassnahmen müssen keine speziellen sanitätsdienstlichen Vorbereitungen ausserhalb der SMDK ergriffen werden, die über den im Kanton vorhandenen sanitätsdienstlichen Katastrophenschutz hinausgehen. Dies bedeutet, dass grössere Ereignisse gemäss den Prinzipien des koordinierten Sanitätsdienstes bewältigt werden. Die dafür notwendigen personellen und materiellen Mittel stehen zur Verfügung und können bei Bedarf aufgeboten werden.“ Damit war das Postulat entsorgt.
 
Wenn ich solche Alles-im-Griff-Stellungnahmen lese, fühle ich mich in die Zeiten der Grubenauffüllung zurückversetzt. Die Tonlage stimmt überein.
 
Ich habe dementsprechend erstmals wieder ungute Gefühle, auch weil die Öffentlichkeit heute eher inkompetent informiert wird. So wurde selbst von der „NZZ online“ (am 26.06.2008) dieser SDA-Satz gedankenlos übernommen: Der Rauch in der Manipulationshalle sei „über eine mehrstufige Abluftreinigungsanlage abgeleitet worden, teilte das SMDK-Konsortium mit. Die gemessenen Abluftkonzentrationen am Kamin seien während der gesamten Zeit unter den im Normalbetrieb üblichen Werten gelegen.“ Das bedeutet im Klartext, dass in Brandphasen weniger Abluft ins Freie abgegeben wird als dann, wenn es in der Halle gerade nicht brennt ... Und andersherum: Wie viel und was für eine Abluft kommt da eigentlich bei Normalbetrieb heraus?
 
Diese Bemerkung mag etwas pingelig erscheinen, doch als ehemaliger Journalist bin ich noch von all den Beschönigungen und inkompetenten Verdrehungen etwas geprägt und entsprechend kritisch. Auch die beruhigenden Worte von Hans-Martin Plüss vom Departement Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) als Vertreter der Aufsichtsbehörde im SMDK-Konsortium nach dem jüngsten Brand erinnern mich ganz an die Verharmlosungen von damals: „Es haben alle gewusst, dass die Deponie Überraschungen bereithält“, zitierte ihn „AZ online“. Man habe auch damit gerechnet, dass Konzeptanpassungen notwendig werden könnten. Von daher bestehe kein Anlass zu übertriebener Sorge. Die Aufsichtsbehörde sei jedenfalls immer informiert und in die Lösungssuche involviert gewesen. Aus heutiger Sicht müsse das Problem auch weder zwingend zu Mehrkosten noch zu Verzögerungen des Rückbaus führen. So weit das Zitat.
 
Doch vorderhand ruht der Anfang November 2007 begonnene „Rückbau“ seit gut 2 Wochen, und ein Zeitpunkt für eine Wiederaufnahme der Arbeit ist noch nicht abzusehen, denn ein neues Sicherheitskonzept dürfte Monate beanspruchen – wenn das keine Verzögerung ist! SMDK-Chef Tardent spricht von „mindestens 1 Monat“, bis die Arbeiten wieder aufgenommen werden können. Das erweiterte Sicherheitskonzept wird entsprechende Kosten verursachen, und die Arbeitskräfte, die diesen Dreckjob leisten – Hut ab vor ihnen! –, werden hoffentlich weiterhin anständig bezahlt, auch wenn sie eine Zwangspause einhalten müssen. Wenn das nicht zu Mehrkosten führt …
 
Im Moment geht man von Gesamtkosten in der Grössenordnung von 700 Mio. CHF aus, nachdem man ursprünglich von 445 bzw. 500 Mio. CHF ausgegangen war; die Sanierungsdauer wurde bis Ende 2012 angesetzt. Die Kosten sind wie folgt aufgeteilt: Kantone Aargau und Zürich je 41 2/3 %, Stadt Zürich und Basler chemische Industrie je 8 1/3 %. Gut 90 % gehen also zulasten der Öffentlichkeit, die immer alles auszufressen hat. Der Sondermüll-Lieferant Walter Reinger aus Süddeutschland kam merkwürdigerweise vollkommen ungeschoren davon – ihm waren damals die Deklarationsnotizen und alle Belege bei einem Barackenbrand zum Opfer gefallen, wie das Schicksal so spielt.
 
„Muss man den Rückbau Ihrer Ansicht nach einstellen?“, fragte mich ein Tele-M1-Mitarbeiter namens Frei bei einem informellen Gespräch am 09.07.2008. „Gewiss nicht, allenfalls müssen eben Maschinen mit längeren Greifarmen oder gar Roboter eingesetzt werden“, vermutete ich. Bei der in Planung begriffenen Bonfol-Sanierung (für rund 350 Mio. CHF) werden von aussen gesteuerte Greifarme das Ausbaggern übernehmen, so dass Menschen nur selten in den Schutzbau werden einsteigen müssen, und zudem will man den Brandschutz dort gross schreiben.
 
In Kölliken gibts kein Anhalten mehr. Der Giftcocktail muss aus jener sensiblen Zone entfernt werden, unbedingt. Anfänglich war ich vom Sicherheitskonzept sehr angetan. Aufgrund der neuen Geschehnisse und Äusserungen hat sich meine Begeisterung etwas gelegt. Ein Rückfall in planerischen Pfusch und in die alte Verharmlosungsdoktrin wäre das letzte, was dem Publikum von Kölliken und jenem in den Zahler-Kantonen zuzumuten wäre.
 
Die Sicherheit, die während der Einlagerungszeit sträflich vernachlässigt worden ist oder überhaupt unberücksichtigt blieb, geht jetzt in allen Teilen vor – sie muss bis zur Neueinlagerung des herausgeholten Materials reichen. Eine anspruchsvolle Aufgabe. Die SMDK-„Büchse der Pandora“, von welcher Peter C. Beyeler bei Aushubbeginn sprach, ist sicher noch für weitere Überraschungen gut. Die Feuer, die hier entstehen, würde man sich gern von Prometheus rauben lassen, wenn wir schon gerade in die griechische Mythologie abgetaucht sind.
 
Die von Zeus gesandte Pandorabüchse muss in Kölliken zwangsläufig geöffnet werden, weil sie das sonst selber getan hätte. Und da kommen halt auch dort einige der Übel dieser Erde zum Vorschein – die Büchse ist riesengross. Weil der bisherige Verzicht auf das ursachenorientierte Denken und Handeln den Zeus zu immer neuen Strafaktionen zwingt. Die Beschöniger haben es immer schwerer.
 
Hinweis auf die Beschreibung der SMDK im Textatelier.com
 
Hinweis auf Blogs zur Sondermülldeponie Kölliken
 
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