Textatelier
BLOG vom: 29.06.2008

Hägendorf SO: Durch die Teufelsschlucht zu all den Heiligen

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
In der letzten Zeit trieb ich mich aus publizistischen Gründen häufig bei oder in Kirchen herum. Im Interesse der Ausgewogenheit schien deshalb ein Augenschein in der Teufelsschlucht (Hägendorf SO) das gegebene Ziel zu sein. Dafür sprach zudem das tropische Wetter; eine Wanderung in einer feucht-kühlen Schlucht mit der terpenhaltigen Waldluft war das Gebot der Stunde.
 
Nur der Teufel ist leider in der Teufelsschlucht nicht mehr anzutreffen, denn er wurde vor einigen wenigen Jahren zum Verkehrsdienst auf dem Kreisel mitten im Dorf Hägendorf (Strasse Olten‒Solothurn) abkommandiert, wo er seit einigen Jahren wie eine Primaballerina posiert und einen etwas melancholischen Eindruck macht. Trotz der aktuellen Enthornungsmanie in der Rindviehvermarktung durfte er seine 2 Hörner behalten. Unter ihm wurde eine mit „Tüfelsschlucht“ (der heute offiziell geltenden Schreibweise) beschriftete Tafel angebracht; der hilfsbereite Mann weist mit dem linken Arm die Richtung. In der rechten Hand hält der Teufelskerl, der mit jeder Situation zurecht kommt, eine rostige Gabel, wie man sie unter anderem zum Bewegen der glühenden Kohle benutzt. Er und die Gabel sind aus Eisen angefertigt und von einer rostroten Oxidationsschicht überzogen. Da Eisen bei 1535 °C schmilzt, schliesse ich daraus, dass es in der Hölle weniger als 1535 Grad heiss sein muss, ansonsten der Eisenteufel ja schmelzen würde. Das wirkte auf mich im Hinblick auf die Zukunft tröstlich. In meinem Alter (71+) macht man sich über die Zukunft so seine Gedanken. Dabei empfinde ich es als Trost, dass ich ziemlich hitzeresistent bin.
 
In der Schlucht
Wandern tut gut und zögert vielleicht das selige Ende etwas hinaus. So folgte ich also dem Weg in Hägendorf, den der Teufel gewiesen hatte – Richtung Jura und fand beim Einkaufsparadies Coop hinreichend Parkplätze. Dort beginnt die Wanderung zur Schlucht vorerst durch eine Art Gartenweg. Gleich nachher findet man ganze Büschel von gelben Wanderwegweisern, und man folgt jenen, die zur Tüfelsschlucht und zum Allerheiligenberg weisen. Mit einem ordnungsliebenden Baugeschäft (A. Kamber AG) und einem verlassenen, verträumten, von Wind, Wetter und Alter gezeichneten Haus am Waldrand hört das Dorf auf. Der Wanderer findet sich sogleich in einem kantonal-solothurnischen Naturschutz-Reservat mit dem zentralen Ereignis des Cholersbachs, dessen Name darauf hinweist, dass in dessen oberem Teil Köhler Holz in Kohle verwandelt haben, wobei ich nicht sagen kann, ob diese auch zur Beheizung der Hölle eingesetzt wurde.
 
Der Cholersbach, der seine Quelle östlich von Bärenwil hat, durfte kurz vor seinem Austritt aus dem Wald einen opaleszierenden Weiher bilden, an dem sich freundlich grüssende Kinder erfrischten. Tafeln weisen dann auf Steinschlaggefahren hin und sprechen die Bitte aus, den Weg zum Selbstschutz nicht zu verlassen. Der Schluchtdurchgang ist zwischen dem 12. und 30. Juni 2006 durch die Rettungskompagnie 2/3 instand gestellt worden: ein angenehmer Wanderweg durch die bizarre und ständig ansteigende Schlucht mit vielen Treppen und zahllosen Brücken mit Geländer, weil die Bachseite immer wieder gewechselt werden muss. Von Hägendorf (434 m ü. M.) beträgt der Höhenunterschied bis Allerheiligenberg 436 m.
 
Ins Bachbett sind grosse, oft bemooste Steine eingebettet, manchmal ganze Felsbrocken. Sie und auch der Fels, den das Wasser geformt hat, sind kunstvoll abgeschliffen. Das Wasser bewegt sich gut hörbar an den weiblich anmutenden Rundungen vorbei. Eine besondere Sehenswürdigkeit ist ein erratischer Block aus Biotitgranit, der vor etwa 110 000 Jahren (Risseiszeit) durch den Rhônegletscher nach Hägendorf geliefert worden sein dürfte, wenn die Theorie stimmt. Durch einen Regierungsratsbeschluss vom 10. Dezember 1971 sind alle erratischen Blöcke im Kanton Solothurn geschützt.
 
Der Weg, der oft durch kleine Mäuerchen vom Bach abgetrennt ist, kriecht anschliessend an Kalkfels-Engnissen vorbei, und manchmal ist die Schlucht so eng, dass er sich ins Gestein einfressen musste, das dann überhängend wird. Solche oben vorspringende, recht kompakt wirkende Felsen gibt es in stattlicher Anzahl auch als Naturerscheinungen. Hier scheinen alle Grundsätze der Statik ausgehebelt zu sein; theoretisch kann das nicht halten. Andauernd entstehen neue herrliche Bilder mit den Attraktionen von grau-bräunlichem, mit Grün dekoriertem Gestein und den Wasserspielen. Es war am 27. Juni 2008 gegen 16 Uhr, und das Sonnenlicht wählte sich diese und jene Schluchtnische in diesem Teufelsgraben (wie er in einem Ratsmanual von 1544 bezeichnet ist) aus, um die Farben punktuell besser zur Geltung zu bringen.
 
Der Weg unterquert bald einmal die A2. Der Verkehr, hoch oben auf der Autobahnbrücke (Betonbogenbrücke) von und nach Basel, rund 1 km südlich des Belchentunnel-Eingangs im Richenwilertäli, stört die Ruhe in der idyllischen Schlucht für nur kurze Zeit; dafür ist das von unten zu sehende, elegante Brückenbauwerk eine wirkliche Attraktion, eine Meisterleistung der Ingenieurskunst.
 
Schöne Bilder ergeben die bemoosten Wasserfälle und auch die Strudelpfannen, und darunter befinden sich solche, die wie abgetreppte Mauern aussehen, von den Kalkschichten mitgeformt. Zu den geologischen Lehrstücken gehören die vielen Höhlen und Klüfte, die in den aufgerissenen Kalkwänden zu sehen sind. Sie bestätigen die Vermutung, dass das Juramassiv von vielen Höhlen, natürlichen Wasserkanälen und wohl auch unterirdischen Seen durchsetzt ist, ein wunderbares Wasserreservoirsystem, das aber auf Eingriffe auch sehr empfindlich reagieren kann.
 
Der Cholersbach oberhalb des Strassenübergangs (Strasse Hägendorf‒Allerheiligenberg), dem Allerheiligenrank auf der Höhe der Chanzelflue, führte zum Zeitpunkt unserer Wanderung kein Wasser mehr. Ein ortskundiger Einwohner von Hägendorf, der uns entgegengekommen war, sagte dazu, dass hier oben, in der oberen Schlucht, immer Wasser geflossen sei, auch in sommerlichen Trockenperioden. Doch seit den jüngsten Strassenbauarbeiten sei der Wasserzufluss ins Bachbett wie abgestellt. Es ist also anzunehmen, dass allenfalls durch Sprengungen unterirdische Wasserläufe ungewollt umgeleitet worden sind. Deshalb ist der obere Teil der Tüfelsschlucht weit weniger attraktiv als der untere. Das Wasser fehlt.
 
Unterwegs kommt man an einigen in den Fels eingemauerten „Kassen zum Unterhalt der Tüfelsschlucht“, massive Eisenkonstruktionen, vorbei, eine verständliche und begründete Aufforderung, zumal der Wegunterhalt recht aufwändig sein dürfte. In einen kleinen Schlitz kann man auch Banknoten schieben. Inbegriffen in allfällige Spenden sind Naturduschen, unter denen man sich abkühlen kann: Ein mit Moos überwachsener, hängender Tuffstein erzeugt einen Wasservorhang aus kühlendem Wasser. Und ganz in der Nähe agiert ein Spritzbrunnen (588 m ü. M.): eine natürliche Wasserfontäne schiesst in die Höhe, und wegen der in den Wasserfluss eingebundenen Luft knistert die Anlage wie ein Feuer, das mit trockenem, harzhaltigem Holz erzeugt wird.
 
Allerheiligenberg
Nach gut einer Wanderstunde ist die Schluchtenherrlichkeit zu Ende. Man verlässt den Wald mit seinen Tannen, Föhren, Eschen, Ahornbäumen usf. und kommt aufs offene Feld, ein Schräghang, der oben von den Häusern von Allerheiligenberg abgeschlossen wird. Über einen luftigen Wiesenweg erreicht man das Fahrsträsschen, auf dem gerade ein kleiner gelber Postbus die Verbindung zwischen Hägendorf bzw. Olten und dem Allerheiligenberg (früher: Berchiswil) gewährleistete. Dort ist auch eine Höhenklinik, die ursprünglich eine Tuberkulose-Heilstätte war, gegründet von einer gemeinnützigen Gesellschaft auf Initiative des Oltner Arzts Adolf Christen.
 
Wir kletterten eine Holztreppe empor und kehrten in der Bärgwirtschaft Allerheiligenberg ein, die mit einem Bauerhof verbunden ist, wo sich gerade einige Rinder von einer rotierenden Bürste massieren liessen. Unter einem grauenhaft geschnittenen, verstümmelten Kastanienbaum nahmen wir an einem Steintisch Platz, belagert von 2 rivalisierenden Katzen, die unser Fressverhalten schon in der Einleitungsphase beobachten wollten, und bestellten vorerst einmal ein Feldschlösschenbier. Das tat gut. Ich wählte das „Allerheilige Hacksteak“ mit Kräuterbutter, Pommes, Salat und Gemüse (20.50 CHF), Eva das „hausgem. Schweinssteak“ (23.50 CHF) mit ähnlichen Beilagen; eine rote Erdbeere war in beiden Fällen dabei. Eine aus Polen stammende, knabenhafte Serviererin bediente uns in angenehmer Art, und das Essen schmeckte prima, auch die mit Kräutersalz gewürzten Kartoffelstäbchen.
 
Die Aussicht zum nahen Hornflue-/Hombergrücken, zum Sälischlössli, nach Olten, zum Born und bis zum fernen, leicht von Dunst eingehüllten Alpenkranz war beeindruckend.
 
Wir wanderten bei veränderten, schwächeren Lichtverhältnissen den gleichen Weg zurück, und diesmal, in der Wasserfliessrichtung, gings viel schneller und leichter. Noch einmal erlebten wir die zu einem kunstvollen Naturlandschaftsgemälde gruppierten Nischen, Felsformen, das Rauschen des Wassers, begleitet von einigen Vogelstimmen, die den Abend besangen.
 
In Hägendorf verabschiedete ich mich vom Teufel, der uns den richtigen Weg gewiesen hatte.
 
Anhang
Die Tüfelsschlucht-Sage
Die offizielle Version der Sage um den Namen „Tüfelsschlucht“ ist auf der Homepage der Gemeinde Hägendorf (www.haegendorf.ch) aufgezeichnet, die ich hier in freier Kommentierung wiedergebe. Darnach hiess die schöne Schlucht nicht immer so (sondern z. B. Cholersbachgraben). Der heutige Name kam erst auf, nachdem sich der Teufel zusammen mit einer armen Seele dorthin verlaufen hatte; wahrscheinlich gab es damals noch keine Wanderwegweiser. Er wollte die Seele weiter oben im Wuestgebiet in einer Höhle deponieren; doch war es in der Schlucht so angenehm kühl, dass er in eine Pfütze sprang, die gleich zu dampfen begann. Derart erfrischt, lieferte er die Seele ab und kehrte mit Artgenossen in die Schlucht zurück. Dort spielten sie mit dem Wasser, standen unter Wasserfälle und hüpften in die Pfützen, Seen und Weiher. Statt das unbeschwert und in Frieden zu geniessen, sollen sie geflucht haben, so dass das Harz aus den Tannen floss. Dann kamen sie ins Randalieren, rissen Bäume aus und schmissen Felsbrocken ins Bachbett, um das Wasser zu stauen, was beweist, dass das Höllenfeuer selbst den Teufeln nicht ganz zu behagen scheint und auch dort gelegentliche Abkühlungen geschätzt werden.
 
Indem sie sich abkühlten, stieg Dampf aus der Schlucht, und der Bach begann sogar, nach Schwefel zu stinken. Dieser Geruch blieb unten über dem Dorf Hägendorf liegen (der Dorfname bedeutet eine mit einem Etterzaun, einem Grünzaun, umgebene Siedlung nach alemannischer Art). Den Dorfbewohnern wurde es allmählich zu bunt und unheimlich zumute, und so holte man sich Hilfe aus dem Kapuzinerkloster im nahen Olten. Wörtlich wird die Sage wie folgt zu einem guten Ende gebracht:
 
„Ein Pater kam. Er stieg mutterseelenallein in die Schlucht, während die Leute beteten und Kerzen für ihn anzündeten. Nun stiegen gelbe Nebelschwaden auf, und es polterte und tobte aus dem Graben.
 
Erst nach 6 Stunden kam der Pater zurück. Müde und erschöpft vom harten Kampf mit dem Bösen. Seine braunen Haare waren kreideweiss geworden, und an der linken Schläfe hatte er das Mal einer feurigen Klaue.
 
Seither sind die Tüfel aus der Schlucht vertrieben und der Bach ist wieder klar, nur der Name ist geblieben: ,Tüfelsschlucht’.“
 
Und so konnte man den Vertriebenen am wichtigsten Strassenkreuz von Hägendorf im Buchsgau jetzt im Sinne eines Recyclings für die Verkehrslenkung einsetzen, im Interesse der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
 
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Zu all diesen Beschreibungen können reproduktionsfähige Fotos unter www.textatelier.com bezogen werden. Klicken Sie bitte auf den Link „Ihre Meinung dazu?“ am Ende dieser Seite.
 
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