Textatelier
BLOG vom: 11.01.2008

Zwei neue Wörter entdeckt: Telefonierhygiene und Edeltrödel

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Sinngemäss lautete eine Redensart, die oft in den Einleitungen alter Kochbücher zu lesen steht, dass die Entdeckung einer neuen Zubereitungsart (eines Kochrezepts) für die Menschheit wichtiger als jenes eines neuen Planeten (oder Sterns) sei. Ob diese Erkenntnis aus dem Altertum stammt, als die Planeten, die sich munter zwischen den Fixsternen bewegen, entdeckt wurden, weiss ich nicht mehr so genau. Aber das spielt im gegebenen Zusammenhang auch keine so grosse Rolle. Die Feststellung reduziert sich im übertragenen Sinn auf die Frage, was uns denn wichtiger sei, ein festliches Abendmahl oder der Blick zum Sternenhimmel. Glücklich diejenigen, die ihr Abendessen unter dem Sternenhimmel geniessen dürfen. Jedenfalls haben viele Gaststätten solche Sterne an ihre Fassade gehängt, auf dass das Eine, die Sterneansammlung, das Andere, das kulinarische Hochamt nämlich, beflügle.
 
Entdeckungen, die mir Freude bereiten, sind neue Wörter, zumal ich ja gern mit alten und jungen Wörtern arbeite. Es ist wie bei einem Koch: Je umfangreicher sein Zutatenarsenal ist, desto beflügelter ist seine Kreativität. Wie frustrierend muss es für ihn sein, wenn bei der Zubereitung eines Fischgerichts kein frischer Dill vorhanden ist und die Sauce nicht mit ein paar Tropfen Noilly Prat, diesem französischen Vermouth (Wermutwein), verfeinert werden kann, weil er im Arsenal fehlt. Seit 1813 gibt es diese Essenz, die in meiner Küche eine mindestens ebenso grosse Rolle spielt wie die Muskatraspel. 1813 muss eine planetarische Freude in den gepflegten Küchen geherrscht haben, falls man die Bedeutung der neuen Wermutwein-Erfindung ihrer Bedeutung gemäss zu würdigen wusste.
 
Wer schreibt oder dichtet, reiht einfach Wörter hintereinander, und je vielfältiger sein Sortiment ist, desto farbiger, plastischer, anschaulicher wird das Resultat seines aufreihenden Tuns. Er blüht ganz im Sinne von Wilhelm Busch auf, dessen 100. Todestag am 9. Januar 2008 begangen – und nicht etwa gefeiert – worden ist. Denn man hätte ja gern noch viel mehr von ihm gelesen. Er faszinierte mich mit seinem „Max und Moritz“ schon als Kind, vor allem wegen der Reime. Seine hemdsärmelige Art des Verseschmiedens gefällt mir nach wie vor, und ich hätte ihm ein noch viel längeres Leben gewünscht – er wurde 76 Jahre alt, wenn ich sein Geburtsdatum (15. April 1832) richtig hochgerechnet habe. Er fand immer die richtigen Worte und Wörter, und bei ihm reimte sich einfach alles: 
„Wie wohl ist dem, der dann und wann
sich etwas Schönes dichten kann!“ 
Edeltrödel
Ein (für mich) neues Wort habe ich an der Antiquitätenmesse im Tägerhard in Wettingen AG am 6. Januar 2008 entdeckt: Edeltrödel. Das zusammengesetzte Wort mit den beiden Enden „el“ ist selber ein Reim. Im Google ist der Edeltrödel mit 1710 Nennungen vertreten, und eine Firma in Neuenhof AG hatte es auf ihr an der Verkaufsveranstaltung aufgelegtes Flugblatt („20 Jahre: Jubiläumsverkauf“) geschrieben. So neu ist es also nicht, wohl aber für mich. Es bezeichnet ein Zwischending zwischen Krempel und Kunst, wie der Titel einer Sendereihe des Bayerischen Fernsehens lautet, das ich übrigens neben arte als einen herausragenden Sender halte, weil er einen gewissen Bildungsauftrag verspürt.
 
Das Wort Edeltrödel ist äusserst nützlich. Denn zwischen Krempel (schweizerisch: Gerümpel) und Kunst sind die Grenzen fliessend. Ist meine naturgetreue, etwa 20 cm hohe Puppe, die ich von einer Sahara-Exkursion mitgebracht habe und die einen Tuareg-Mann aus Niger in der schützenden Umhüllung aus naturfarbener Baumwolle zeigt, nun Kunst oder Krempel? Es ist Volkskunst auf hoher Stufe – also Edeltrödel, der mich anspricht, Erinnerungen weckt, mich berührt. Das Wort wird mir in Zukunft dienlich sein, wenn ich so etwas beschreiben muss.
 
An der Antiquitätenmesse habe ich übrigens neben dem erwähnten Prospekt auch ein Buch gefunden: „Die Schweiz auf alten Karten“ von Prof. Dr. Leo Weisz (Buchverlag der Neuen Zürcher Zeitung, Zürich 1969); die kartonierten Buchdeckel sind mit Jutefasern überzogen. Im Buch sind uralte Karten abgebildet und beschrieben, die eher sinnbildliche Zeichnungen als grossartige kartografische Leistungen sind. Die Landesvermessung wurde im Verlaufe der Jahrhunderte ständig verbessert, weit über die Fähigkeiten der verfügbaren technischen Hilfsmittel hinaus, und das war allemal Kunst; von Edelkrempel oder gar Krempel würde ich hier niemals zu sprechen wagen.
 
Telefonhygiene (Telefonierhygiene)
Das 2. neue Wort, das mir an jenem 6. Januar 2008 zugeflogen ist: Telefonierhygiene. Und das kam so. Eva hatte ein neues SWITEL DE 212 mit 2 Mobilteilen angeschleppt, die in der Basis- bzw. Ladestation herumhängen, wenn gerade nichts läuft. Das DECT-/GAP-Telefon gilt als strahlungsarm, worauf wir Wert legen. Meine Frau möchte mich von der Küche aus telefonisch zum Essen aufbieten können, wenn ich eine Etage tiefer das Keyboard traktiere, obschon ich kein begeisterter Telefonist bin und die Telefonfreiheit (= gelegentliche Unerreichbarkeit) zu den gegebenen Zeiten in vollen Zügen geniesse.
 
Mein eher distanziertes Verhältnis zur Telefonie wurde bei all den Versuchen, das neu erworbene Gerätepaar anzuschliessen, nicht eben verbessert, um es sanft zu sagen. Wenn ich meine diesbezüglichen Erlebnisse hier in altkluger Art niederschreibe, dann rührt dies daher, dass ich aus den bitteren Erfahrungen mit Fremdhilfe gelernt habe.
 
Wie immer, war das Stromanschlusskabel für die Basisstation um die entscheidenden 5 cm zu kurz (Warum macht man die Kabel nicht endlich 5 cm länger?), und zudem hatte ich in der ersten Aufregung übersehen, dass selbst bei Mobiltelefonen die Basisstation festnetzartig an die Telefonanschlussdose angeschlossen werden muss. Das 14-stündige Aufladen der eingelegten Akkus gefiel mir, weil es mir nach der Anschlussprozedur eine Verschnaufpause verschaffte.
 
Anderntags studierte ich die Bedienelemente, las die von Symbolen im Nanoformat begleiteten einführenden Informationen und stellte fest, dass die Symbolik auf dem Telefon nicht in jedem Fall mit der Gebrauchsanleitung übereinstimme. Ich schaffte es aber dennoch, einige Nummern einzugeben. Und dann kam der grosse Moment: der Anruftest. Ich hörte, dass die Zahlenreihenfolge abgespielt wurde, doch eine Verbindung kam nicht zustande. Darauf verirrte ich mich im Kapitel Menüstruktur der Gebrauchsanleitung, und obschon ich eine gewisse Übung im Interpretieren von Speisekarten habe, fand ich mich nicht zurecht. Wie um Gotteswillen sollte ich im Kapitel SYSTEM diese Zeile interpretieren:
 
ANMELDEN PIN (0000)   1 2 3 4   SUCHE BASIS
 
Über E-Mails klärte mich mein technisch versierter und von grenzenloser Geduld erfüllter Bruder auf, dass es hier darum gehe, die einzelnen mobilen Stationen zuzuordnen und es insgesamt deren 4 sein könnten. Und er wies mich noch darauf hin, den ECO MODE unbedingt auf EIN zu stellen, der Strahlungsarmut wegen, selbst wenn das allenfalls die Reichweite beeinträchtigen könne.
 
Mein Bruder erwies sich als ausserordentlich strahlungsbewusst und klärte mich darüber auf, dass das die DECT-Technologie laufend in der Landschaft herumfunke und die Basisstation demzufolge mindestens 2 m von meinem Arbeitsplatz entfernt sein sollte, da diese bei DECT-Schnurlostelefonen Dauersender sind (mit 100 Hertz periodisch gepulste Strahlung); neuere Apparate reduzieren das oder stellen die Senderei ein, wenn das Mobilteil in der Ladeschale ruht (Eco-Mode). Und zudem müsse ich auf eine strenge Telefonierhygiene achten. Ich interpretierte das dahingehend, dass ich die Apparate täglich zweimal mit meinem ISCLELAN-Reinigungsschaum besprühen und abwischen müsse, lag aber schon wieder daneben. Das für mich neue Wort bedeutet, dass die Telefone (die Mobilteile, eigentlich die Hörer) immer zur Basis- bzw. Ladestation zurückgebracht werden müssen, wenn sie nicht in Gebrauch sind. Wenn sie einfach irgendwo herumliegen, fühlen sie sich verloren und suchen strahlend die Umgebung ab, wohl aus lauter Angst, einen Anruf zu verpassen. Der entscheidende Passus in einem der Informationsblätter des VDB e. V: (Berufsverband Deutscher Baubiologen. Internet: www.baubiologie.net/docs/elektrosmog-DECT-light.pdf) lautet: „Um wirklich in den Genuss der möglichen Strahlungsreduktion zu kommen, muss man bei den ,LR’ und ,ECO-Mode’-DECTs auf penible Telefonierhygiene achten und das Mobilteil konsequent nach jedem Telefonat wieder zurück in die Ladeschale der Basisstation stellen.“
 
Auch dieses Wort Telefonierhygiene verleibte ich meinem Wortschatz unverzüglich ein, was allerdings nicht zur Folge hatte, dass ich einen Anruf zustande brachte. Um niemanden aus dem Bekanntenkreis zu belästigen, versuchte ich, mit einer meiner beiden eigenen Nummern in Kontakt zu treten und entwickelte dabei die leise Vermutung, dass es wohl unmöglich sei, sich selber anzurufen. Aber auch die Verbindung mit einer anderen Nummer wurde irgendwo unfreundlich abgeblockt.
 
Natürlich verfluchte ich die Gebrauchsanleitung im Miniaturformat, die nur unter Vergrösserungsgläsern ergründet werden kann. Ich mailte noch an die Herstellerfirma Tritel. Meine Anfrage wurde maschinell bestätigt, was ich als kundenfreundlich empfand, eine Antwort aber erhielt ich nicht, obschon ich das offizielle E-Mail-Formular bis hinein in alle Nischen wahrheitsgetreu ausgefüllt hatte. Wahrscheinlich war meine Frage auf einem Niveau, dass sich die Techniker schlicht und ergreifend unterfordert fühlten und der Gefahr aus dem Wege gehen wollten, sich mit solch einer telefontechnischen Null auseinandersetzen zu müssen.
 
Nach einer längeren erholsamen Tefefonabstinenz kam mir der rettende Einfall. Ich versuchte, eine Null vor die Vornummer zu stellen. Also 0062 … statt nur 062 … Und da gings. Selbst an mich selber kann ich jetzt telefonieren, auch wenn sich das Bedürfnis dafür in engen Grenzen hält.
 
Hocherfreut und nicht ohne einen gewissen berechtigten Stolz meldete ich meinen Erfolg an Eva – in der Hoffnung, ein kleines Kompliment für mein kommunikationstechnisches Verständnis einheimsen zu können. Aber sie schien ihr Interesse an dieser widerspenstigen Anlage bereits verloren zu haben, zeigte sich entsprechend unbeeindruckt bis apathisch und ersuchte mich höflich, aber bestimmt, endlich für eine einwandfreie Funktion des Dampfabzugs in der Küche zu sorgen, der häufig mitten im Anbraten den Geist aufgibt.
 
Das 3. neue Wort entwickelte ich daraufhin selber: Technologiefolgenaversion. Selbst Google kannte es bisher nicht. Vielleicht läuft dort alles runder.
 
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