Textatelier
BLOG vom: 31.12.2007

Stilvoll ins 2008: Die Champagnerkorken nicht knallen lassen

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Die Jahreszahl wechselt von 2007 auf 2008. Ein umwerfendes Ereignis ist das auch wieder nicht; denn schliesslich wechselt immer um genau Mitternacht solch eine Zahl; soeben habe ich den Wechsel vom 30. auf den 31. erlebt. Und niemandem käme es in den Sinn, bei jedem Datumswechsel, also täglich um 24 Uhr, die Korken und Feuerwerkskörper knallen zu lassen. Aber weil die Jahreszahlen halt rund 365 Mal weniger häufig das Tagesdatum wechseln, feiert man halt, wenn sie es endlich wieder einmal tun, auch weil es so Brauch ist.
 
Selbstverständlich möchte ich kein Stimmungskiller sein, im Gegenteil! In unserem Hause wird wohl zum Jahreswechsel auch wieder ein Champagnerwein geöffnet – und wenn schon, dann nach allen Regeln der Kunst. Ohne Knall. Denn ich habe noch nie ein Stück Kork erlebt, das knallt (ansonsten man dieses edle Naturmaterial dem Sprengstoffgesetz unterstellen müsste). Was knallt, ist die bei unsachgemässem Öffnen schlagartig entweichende Kohlensäure (CO2), welche die Champagner-Produzenten so sorgfältig und aufwändig in ihrem Produkt auf natürliche Weise entstehen liessen – während der Flaschengärung. Die Banausen bringen den Sprudelwein dann schlagartig um seine Vitalität. Den crashgewohnten Autorennfahrern, die es aufs Podest geschafft haben und den Wein geil herumspritzen, sehe ich solches Tun noch einigermassen nach. Und in Gaststätten will man natürlich knallend lokalfüllend kundtun, dass man sich für einen teuren Schaumwein mit dessen Hauch von Luxus, von Noblesse entschieden hat – und weniger, dass man es nicht versteht, diesen angemessen zu geniessen. Das Korkenknallen ist, als ob man eine Weihnachtsgans zart füllen und die Füllung dann zur Explosion bringen würde.
 
Der Prozess des Flaschenöffnens
Wer den Champagner nach allen Regeln der Kunst öffnen möchte, wird darauf achten, dass dabei so wenig Kohlendioxid wie möglich entkommt und der Knall also unterbleibt, obschon diese Erde im Übrigen in reichem Masse mit CO2 gesegnet ist und in der Regel kein Anlass besteht, damit besonders sparsam umzugehen. Er wird somit zuerst das Metallgeflecht (Körbchen, Muselet), das den heute meist zusammengeklebten Korken (oder bei Billigware: den Polyethylenstopfen) und den oberen Teil des Flaschenhalses umschliesst, zusammen mit der Stanniol- (Zinn oder Zinnlegierung) bzw. Aluminiumkappe lösen und entfernen. Beim Öffnen hilft der Flaschendruck im Inneren kräftig mit; man muss aufpassen, dass der Zapfen nicht schon jetzt herausgeschleudert und zum Geschoss wird – wenns pressiert, entfernt man das Körbchen mit dem Korken.
 
Um der Verletzungsgefahr vorzubeugen, sollte man beim Öffnen immer ein Tuch über den Korken legen. Alsdann nehme man den Flaschenhals fest in die rechte und den Korken in die linke Hand und drehe ihn leicht und mit Gefühl. Vielleicht muss man auch etwas ziehen, bis man spürt, dass er dem Flaschenhals entfliehen will. Wenn das Zapfenende am Flaschenausgang angekommen ist, wird der gegen den Hals gedrückte Zapfen in eine leichte Schräglage gebracht, so dass der Druck unter leichtem Zischen entweichen kann. Der perlende Wein bleibt dann bis zum Einschenken zu 100 % in der Flasche und spritzt nicht über den festlich dekorierten Tisch. Elegant ist es, wenn vor dem Einschenken der Schaft der Flasche mit der flachen Hand unterfangen und die Flasche mit dem Daumen in der Boden-Einbuchtung festgehalten wird.
 
Das Champagnerglas
Die Champagnergläser, wie sie im 18. Jahrhundert verwendet worden sind, hatten die ideale Form: ein langes, schmales V. Es sind die Flötenkelche (Flûtes). Diese gab es in 2 Versionen: solche, bei denen der lange, sich nach unten verjüngende Glaskörper in eine Zwiebel überging, die einen Teil des Stiels bildete und auf einem gegossenen Unterteil (Fuss) ruhte; dieses Design lehnte sich an die venezianische Art und die niederländische „Façon de Venise“ an. Die andere, nachfolgende Art war eine sich ebenfalls verjüngende Flûte, die unmittelbar auf dem Fuss ruhte. Damals wurde noch Milchglas verwendet, um die Weintrübung zu verdecken.
 
Heute verwendet man für alle Weine vorzugsweise klare, ungeschliffene und unverzierte Gläser, die es ermöglichen, das Aufsteigen der CO2-Perlen geniessend zu beobachten. Im Sommer 1982 habe ich im Château de Saran der Firma Moët & Chandon, das sich in einem Park mit uralten Bäumen oberhalb von Épernay Cedex F und den Hügeln der Champagne befindet und nur für geladene Gäste zugänglich ist, den frischen, luftigen „Saran nature“ aus einer Magnumflasche (Doppelflasche) aus tulpenförmigen Gläsern mit einem langen hohlen Stiel genossen. Wenn ich mich richtig erinnere, war eine kleine zierliche Schlaufe aus Weissglas unten am bauchigen Glas angeschmolzen. Solche Behältnisse mit dem langen Weg nach oben sind am besten geeignet, die Perlen, die an der Oberfläche lautlos zerspringen, möglichst lange im Wein zu behalten, weil ihr Aufstieg lange dauert.
 
Heute trifft man meistens schlanke, aber leicht bauchige Champagnergläser mit Stiel, die sich unten und oben leicht verjüngen. Doch ziehe ich seit je die schlanken, ganz dünnwandigen, V-förmigen Gläser vor, die sich zuoberst sogar nach leicht ausweiten, obschon man beim Anstossen vorsichtig sein muss. Sie haben den unschätzbaren Vorteil, dass der Wein in den Mund gegossen werden kann, was bedeutet, dass die Notwendigkeit des Saugens entfällt. Bei diesem zwar ebenfalls lustvollen Tun, wie jeder Säugling gern bestätigen wird, wird ein kleiner Unterdruck erzeugt, was, wenn es um Champagner statt Muttermilch geht, dann das CO2 in eine panische Flucht treibt. Im Entstehungszustand wirkt sich dieses fast stechend auf die Geschmackspapillen aus; es beeinträchtigt also die Geschmacksempfindung auf unerwünschte, ja unangenehme Art. Und zudem wird auch das Bouquet, die Blume des Weins, in Mitleidenschaft gezogen; auch sie verflüchtigt sich allzu schnell, wobei sich die Champagneweine im Allgemeinen nicht unbedingt durch eine überwältigende innere Grösse auszeichnen und eher von ihrem Ruf und dem damit verbundenen Zeremoniell leben. Und vielleicht auch vom Umstand, dass der Alkohol wegen der Kohlensäure besonders schnell ins Blut übergeht und die Feststimmung nicht lange auf sich warten lässt.
 
Böse Zungen versteigen sich sogar zur Behauptung, der Trick mit der Kohlensäure diene bloss dazu, die Mittelmässigkeit des Rebensafts aus der Champagne zu kaschieren. Das war möglicherweise einmal so; doch den feinschmeckerischen Franzosen gelingt es selbstredend überall, delikate Produkte hervorzubringen. Für die Champagner-Zubereitung werden hauptsächlich die Rebsorten Pinot noir (rote Blauburgundertraube), Pinot Meunier und Chardonnay verwendet. Die beiden zuerst genannten roten Sorten werden weiss gekeltert (schnell abpressen, damit die Beerenhäute keinen Farbstoff abgeben können. Die Traubensorte Pinot noir bringt kräftige, gehaltvolle Weine hervor, die Pinot-Meunier-Traube demgegenüber rustikalere, wie sie auf Lehmböden gern gedeihen. Und der weisse Chardonnay verleiht dem Schaumwein die Feinheit und Eleganz. Sie wachsen auf Belemenit-Kreide-Böden (aus der Oberen Kreidezeit). Die Sorten Arbane und Petit Meslier sind leider nur noch selten.
 
Weingläser, die sich oben verjüngen, behalten das Bouquet selbstverständlich besser als sich weit öffnende, weshalb man auch Champagnergläser nur zu etwa 2 Dritteln füllen sollte; denn die Kohlensäure kennt keine Ruhe, füllt das Volumen, vertreibt die zum Duft gewordene „Frucht“ bald. Aber nach meinen Erfahrungen spielt dieses Bouquet bei Schaumweinen eine untergeordnete Rolle, so dass die schlanke V-Form zur Unterbindung des Saugens schon seine Vorteile hat.
 
Ein vollkommener Nonsens sind die breiten, gestielten Schalen (Coupes), in denen man gescheiter Desserts serviert. Daraus entweicht die Kohlensäure unverzüglich, und früher wurde manchmal sogar noch mit einem Quirl (Rührstab) darin herumgefuchtelt, was auf die gleiche Stufe wie die barbarische Korkenknallerei gehört.
 
Temperaturfragen
Wer es darauf abgesehen hat, nach dem Mitternachtsschlaf gleich die ersten Fehler zu begehen und es nicht bei der Korkenknallerei und der Verwendung der falschen Gläser bewenden lassen will, kann den Champagne auch gerade noch eisgekühlt, also bei etwa 0 °C servieren. Um das Debakel komplett zu machen, kann er noch die Gläser kühlen und damit den Wein „brechen“. Unter solchen Torturen besteht Gewähr, dass der Wein keine seiner guten Eigenschaften mehr offenbaren kann. Dann können Sie auch gern die mehrfach verwendbaren Plastikflöten aus dem Denner-Angebot (6 Stück, zusammen 6,60 CHF) einsetzen – so hat die Angelegenheit schon wieder Stil.
 
Am besten serviert man den Champagne-Wein bei 6 bis 9 °C. Diese Temperatur erhält der Wein, wenn er nach einem Aufenthalt bei Zimmertemperatur etwa 20 Minuten lang in einem mit Wasser und Eiswürfeln versehenen Kübel gekühlt worden ist.
 
Selbstverständlich steht es jedermann frei, das neue Jahr gleich mit gastrosophischen Fehlleistungen einzuleiten, wenn es ihm und seinen Gästen Spass machen sollte. Es besteht im neuen Jahr dann noch Zeit genug, diesen weitere Fehlleistungen beizufügen.
 
Na, dann Prost!
 
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