Textatelier
BLOG vom: 04.02.2007

Perfekt geformte Valentine. Lasst Brieföffner sprechen

Autor: Emil Baschnonga, London
 
Schon wieder rückt der St. Valentinstag heran mit dem 1. Hauch des Vorfrühlings. Was der an die Valentine gerichtete Brief bewirkt hatte, wie im Blog vom 14.2.2006 („Der heilig gesprochene Valentin lässt Verliebte grüssen“) geschildert, das weiss ich nicht. Eines aber weiss ich: Dem Freilauf der Phantasie sei mit dieser Geschichte zur Feier dieses Tags für Verliebte etwas Spielraum gewährt.
*
Am Freitag war die Konferenz im George V. in Paris vorbei. Martin und Erich sassen beisammen, als das Abschlussdiner aufgetischt wurde. Ihnen gegenüber hatten Claudia und Marlene Platz genommen. Sie alle konnten, auf Kosten der Arbeitgeber, an dieser Konferenz zur Weiterbildung des jungen Kaders teilnehmen. Ein heiteres Gespräch entwickelte sich zwischen den jungen Leuten. „Warum schliessen wir uns einander nicht an?“ schlug Erich keck vor. Auch die Mädchen planten, das Wochenende in Paris zu verbringen. „Warum auch nicht“, meinte Marlene spontan. Zuerst etwas zögernd, war schliesslich auch Claudia damit einverstanden. Das Programm wurde bestimmt: Zuerst das Musée d’Orsay, dann die Bouquinistes der Seine entlang, und schliesslich das Saint-Germain-Quartier ganz allgemein.
 
„Das hast du toll eingefädelt“, lobte Martin seinen Freund, als sie später bei den Champs Elysées noch ein Bier tranken. Im Gespräch ergab es sich, dass den beiden die Claudia ganz besonders gefiel. Marlene beurteilten sie eher als burschikos: Sie wird wohl den Ton angeben und die Zügel halten. In bester Laune verzogen sich Martin und Erich kurz vor Mitternacht in ihre Zimmer und freuten sich auf den Samstag in angenehmer Gesellschaft.
 
War das doch ein erfreulicher Anblick, als die Mädchen den Frühstücksraum betraten: Marlene, sportlich gekleidet im schottischen Wollpullover, trug Jeans, solides Schuhwerk; von der Schulter baumelte eine wuchtige Ledertasche. Claudia erschien in bunter Jacke und langem Schal.
 
„Wir gehen am besten zu Fuss, beschloss Marlene, denn das ist die beste Art, um Paris kennen zu lernen. Im Nu sind wir beim Troc (Trocadéro).“ Damit liess sie durchblicken, dass sie in Paris bewandert war. „Von dort sind wir in knapp einer halben Stunde beim Musée d’Orsay“, führte sie die Regie. Es war gut, dass sie frühzeitig aufgebrochen waren, denn eine Warteschlange begann sich vor dem Museumseingang zu formen.
 
In Musée d’Orsay gibt es viele Marmorfiguren nackter Weiblichkeit aus der „Belle Epoque“ zu besichtigen. Auch Martin war ganz Auge und bemerkte an Claudia gewandt: „Das sind doch perfekt geformte Schönheiten, findest du nicht?“ Diese Würdigung, die eher ihr als dem Marmor galt, war ihm wohl ein bisschen zu voreilig entglitten. Claudia schmunzelte und parierte: „Na, ich stelle fest, dass du ein Kenner bist …“ Martin schrieb sich das als eine sanfte Zurechtweisung hinter die Ohren und beschloss, nicht mehr so leichtfertig vorzuprellen. Nach einer Stunde fand Erich schliesslich, dass sie der Kunst ausreichend Tribut entrichtet hatten und wollte draussen frische Luft schnappen. Marlene stimmte ihm zu.
 
Bei der Seine wehte ein kühler Wind, aber das hielt Martin nicht davon ab, in den Buchvitrinen zu wühlen. „So ein Bücherwurm!“, wandte sich diesmal Claudia an ihn und wickelte den Schal enger um ihren Hals. Erich und Marlene blätterten unterdessen in den Mappen mit Druckgraphik und erstanden sich einige der Toulouse-Lautrec-Reproduktionen. Auch Martin wurde fündig und zeigte Claudia jubelnd den Band „Poèmes“ von Baudelaire, mit 20 Lithographien von Lucien Laforge illustriert. Zwar waren nur 2 davon mit erotischem Einschlag, doch Claudia rief ihm neckisch in Erinnerung, dass er damit schon wieder im perfekt geformten Bereich angelangt sei. „Und erst noch eine tadellose Erstausgabe“, sagte Martin unbeirrt.
 
Sah er in ihr nicht auch eine tadellose Erstausgabe? Das bleibe dahingestellt.
 
Bald darauf drängte Erich darauf, den Weg zu einem guten Lokal einzuschlagen, das – ganz in der Nähe des „Shakespeare-Buchladens“ –, er in bester Erinnerung hatte. Auch Claudia fand es an der Zeit, der Kälte zu entrinnen. So liessen sie die Notre Dame links liegen und ergatterten sich gerade zur rechten Zeit einen Tisch in einem von Korsen frequentierten Lokal.
 
„Einen Apéritif gefällig?“ wandte sich der Kellner an sie. „Mais bien sûr!“ antwortete Marlene sofort. „Das gibt uns Zeit, das Menu in Ruhe zu studieren“, rechtfertigte sie sich. „Also denn, für mich einen Campari“, entschied sie sich flott. „Nimmst du auch einen, wandte sie sich an Claudia?“
 
„Warum nicht einen Kir“, flocht Martin behutsam ein. Er freute sich insgeheim, dass sie seinen Vorschlag annahm. „Einen „Kir Royal?“ fragte der Kellner. „Rien que ça pour Madame“, bejahte er beschwingt und fügte an sie gewandt hinzu, schliesslich müsse man die Feste feiern wie sie fallen … Waren ihre von der Kälte geröteten Wangen noch röter geworden?
 
Die Mahlzeit begann mit einer währschaften Erbsensuppe. Erich schwärmte ansteckend von Blut- und Leberwürsten mit Salzkartoffeln. Marlene wählte ein pikantes Fischgericht und bestellte dazu, wiederum rasch entschlossen, ein „pichet“ Weisswein. Weder Claudia noch Erich hatten etwas gegen eine herbe Flasche Rotwein, zu Dritt geteilt, einzuwenden. Martin liess sich dabei vom Kellner beraten. Schliesslich wollte er ihr zeigen, dass er, nebst der klassischen Schönheit auch den Wein kannte … Wieder hinreichend aufgewärmt, löste sich Claudia aus ihrem Schal. Martin goutierte den Wein und konnte nicht zu bemerken verklemmen: „Ein gut gerundetes Bouquet!“
 
Am Ende der Mahlzeit holte Marlene ihre Kamera aus der Ledertasche. „Nur nicht so steif“, forderte sie Claudia und Martin auf. Der Wein hatte gewirkt, und Martin legte den Arm über Claudias Schulter. Nachher lag es an ihm, Erich mitsamt Marlene ins Bild zu bannen. „Nur nicht so steif“, gebot er seinerseits, was sich Marlene nicht zweimal sagen liess und sich eng an Erich schmiegte.
 
Gegen 3 Uhr erreichten sie über den „Boule Miche“ den Boulevard St.-Germain, eben als die Sonne durch den grauen Wolkenmantel blinzelte und nicht locker liess, bis sie aufstrahlend Paris vergoldete. „Warum treffen wir uns nicht um 5 Uhr bei ,Les Deux Magots’ zum Kaffee", schlug Marlene vor, „denn ich nehme nicht an, dass ihr mit uns Kleider-Boutiquen aufsuchen wollt?“ Schade, dachte Martin, denn er wäre gern in Claudias Nähe geblieben.
 
„Nun haben wir eine Pause verdient “, meinte Erich, „so nett sie auch sind. Ich glaube zwar, dass Claudia dich bezirzt hat. Warum schickst du ihr nicht einen Valentinsgruss? Habe ich richtig getippt?“ foppte er ihn. Martin stutzte, aber blieb ihm die Antwort schuldig. Tatsächlich war das ein toller Einfall! Er wollte ihr unbedingt einen Valentinsgruss schicken, beschloss er spontan, den 1. in seinem Leben an eine junge Frau. „Ich möchte noch einige Buchläden abklopfen“, wandte er sich kurz entschlossen an Erich. „Aber ohne mich“, lachte Erich. „Du findest mich in der „Bar Tabac“ auf der anderen Strassenseite. So hatte Martin Zeit, in einer Papeterie die Valentinskarte zu wählen und erst noch einen Brieföffner, den er ihr schenken wollte, einfach so, nicht ohne Hintergedanken.
 
Der Rest des Tages verstrich so schön wie er begonnen hatte. Zuletzt tauschten sie ihre Adressen aus. „Und hier ist der Brieföffner, denn ich möchte Dir gern schreiben und vielleicht einen Baudelaire-Vers mitgeben …“ Claudia schien gerührt zu sein.
*
Auch in dieser Geschichte, wie in so vielen anderen auch, bleibt der Fortgang unbekannt. Aber es bleibt zu hoffen, dass der gute Valentin diesem viel versprechenden Beginn voran helfen wird.
 
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