Textatelier
BLOG vom: 01.01.2006

Bräuche zur Jahreswende (II): Sind sie Schnee von gestern?

Autor: Heinz Scholz
 
Bevor ich auf die Bräuche in aller Welt eingehe und den „Guten Rutsch“ ausspreche, einige bekannte Stimmen zum Thema Weihnachtsbräuche. Sind sie noch zeitgemäss oder "Schnee von gestern"? Was meinen unsere Leserinnen und Leser dazu?
 
Emil Baschnonga, unser Blogger und Aphoristiker aus London, informierte mich über die englischen Bräuche wie folgt:
 
„Leider kann ich selbst nicht viele Neujahrsbräuche nennen, ausser dass ich in jungen Jahren wacker an Partys teilgenommen habe. Später kam es zu Treffen mit Nachbarn und Freunden, mit Knallbonbons, Snacks und Sekt. Seit 2 Jahren feiern wir Neujahr schlicht und einfach im engsten Familienkreis. Kurz nachdem die Uhr 12 geschlagen hat, schreibe ich einige Vorsätze auf Papier. Meine Frau ebenfalls. Nachher werfen wir einen Fernsehblick aufs schottische Neujahr, wo viel Betrieb herrscht. Dabei öffne ich eine bessere Flasche Rotwein. Meine Frau hält sich dabei an Cranberry Juice.
 
In England geht es natürlich hauptsächlich ums Trinken in Pubs und Clubs ...“
 
Heiner Keller, kritischer Denker aus dem Fricktal und Autor des Buches „Bözberg West“ berichtet:
 
„Bräuche praktizieren wir persönlich praktisch keine mehr. Seit ganzjährig, global und jederzeit alles irgendwo verfügbar ist (Sonne, Früchte, Informationen ...), haben die Bräuche, die viel mit Jahreszeiten zu tun hatten, ihre Bedeutung verloren – wenn sie nicht irgendwelche Vereine ins Jahresprogramm aufgenommen haben. Neu in Oberzeihen AG (130 Bewohner) ist, dass sich die Daheimgebliebenen an Silvester um Mitternacht um die Kapelle versammeln, herumstehen, die Glocke läuten lassen und die mitgebrachten Getränke und Häppchen vertilgen. Das gemeinsame Anstossen auf das neue Jahr ist ja noch ganz nett. Seit der Gemeindeammann auch aus Oberzeihen ist, hat der Anlass nach meiner Meinung an Spontaneität verloren – aber Du weisst ja: Die Wahrnehmung ist persönlich.“
 
Walter Hess, Blogger und Leiter des Verlags Textatelier.com, Biberstein, schrieb mir:
 
„Wir leiten das neue Jahr meistens mit einem festlichen Frühstück ein und geniessen das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker – und stellen allmählich fest, dass sich eigentlich gar nicht so viel geändert hat.“
 
Silvesterklaus und Schnappesel aus Wald im Zürcher Oberland
Die Zürcher Bloggerin Rita Lorenzetti liess auf Anfrage ihre Erinnerungen wieder aufleben:
 
„Der Brauch ist etwa 300 Jahre alt. Die Menschen von Wald im Zürcher Oberland erleben ihn immer wieder gern. 7 Paare zu je einem Schnappesel und einem Silvesterklaus ziehen am Silvester vom Morgen bis zum späten Nachmittag durchs Dorf und zu den Aussenwachten (Weilern) hin und bringen den Leuten an ihren Wohnorten die Glückwünsche fürs neue Jahr. Im Oberländer Dialekt tönt das so:
 
‚Mer wöisched es guets, glückhaftigs, gsunds, gsägnets und fröideriichs Neujohr.’ (Wir wünschen ein gutes, glückhaftes, gesundes, gesegnetes und freudenreiches Neujahr.)
 
Der Klaus ist mit einem zirka 40 kg schweren Glockenkranz gegürtet und mit einem Samtwams gekleidet. Er trägt einen Lichthut mit einem Sinnspruch oder Glückwunsch. Er verkörpert das Gute. Sein Gegenpart, der Schnappesel, ist in weisses Linnen gehüllt, aus dem an einer Stange ein pelziger Eselsgrind (Eselskopf) herausragt. Dieser Schnappesel klappert mit seinem Gebiss und schnappt nach allen, die ihm in die Quere kommen.
 
Der Klaus verkörpert das Gute, der Schnappesel das Böse.
 
2 Beispiele von Texten auf dem Lichthut:
Hast du getreu und bieder dein Jahreswerk getan, so fange fröhlich wieder das neue an.
Oder:
Wänn s Bösi um die Hütte flügt, tuesch eifach d Feischter zue.
Und wänn der s Glück uf d Bude stiigt,
hock nüd verchert druf ue.
(Wenn das Böse um deine Hütte fliegt, schliess das Fenster einfach zu
und wenn dir das Glück auf die Bude steigt, sitz nicht verkehrt darauf.)
 
Bevor die Glückwünsche ausgesprochen werden, tanzen Klaus und Schnappesel zuerst ihren urtümlichen Tanz, der einem einen Schauer über den Rücken jagt. Mehrmals rufen sie: Hopp-hopp-hoo, hopp-hopp-hoo und bewegen sich im Takt nach rechts und nach links. Die Glocken am Gürtel des Klauses erklingen. Die Freude ist gross. Wer diesen Gruss bekommt, rechnet mit Glück im neuen Jahr.
 
Wenn dann diese Paare am Abend zum Abschluss im Dorf auf dem Schwertplatz eintreffen und im Kreis die wippenden Bewegungen vollführen und die Glocken aller Kläuse erklingen, wird mir immer bewusst, wie sich die beiden brauchen. Aus den windenden und verbeugenden Gesten des Schnappesels wird deutlich, wie die dämonischen Kräfte das Gute herausfordern, ihm eigentlich dienen. Glück erwacht erst, wenn es aus der Ruhe aufgescheucht, sich im Tanz mit seinem Gegenspieler vereint. Die Glocken des Klauses ertönen nur, wenn sich das Gute bewegt. Und der Schnappesel braucht die Ruhe und Beständigkeit des Klauses, damit er nicht überbordet.
 
Als Kind hatte ich natürlich Angst, wenn ich dem Schnappesel am Silvestermorgen auf dem Schulweg begegnete und rannte davon. Heute suche ich sein Ritual, weil dieser Brauch bildhaft Sinn vermittelt.“
 
Auf die Bäume eingeprügelt
Michael Schneider, Kräuterspezialist von der „Hörmoosalpe“ bei D-87534 Oberstaufen (Allgäu), der schon im 1. Teil mit seinen Räucherungen Furore machte, schilderte einem Mitarbeiter der „Badischen Zeitung“ noch ganz andere, ungewöhnliche Bräuche aus dem Allgäu.
 
So mussten am 27. Dezember (Winterjohanni) junge Mädchen an den Hühnerstall klopfen. Antwortete der Hahn, war im kommenden Jahr eine Hochzeit im Busch. Andere wiederum stellten sich mit 2 brennenden Kerzen vor einen Spiegel und riefen seinen Namen (Johannes); dann konnten sie angeblich das Antlitz des Zukünftigen sehen.
 
Auch die Bäume mussten für einen Brauch herhalten. Am Sonntag einer Rauhnacht gingen die Bauern in den Obstgarten und prügelten auf die „armen“ Bäume ein. Nur durch diese Prozedur trugen die Bäume im kommenden Jahr viel Obst.
 
Neujahrsbräuche aus aller Welt
Das Neujahrsfest des chinesischen Kulturkreises, das 3 Tage lang dauert, wird zwischen Ende Januar und Ende Februar gefeiert. Zu Neujahr finden Drachen- und Löwenumzüge statt. In China wird das Haus vor Beginn der Festivitäten mit Bambuszweigen geputzt. Während des Festes ist das Putzen nicht angebracht, da man sonst das Glück hinauskehren würde.
 
Die Griechen backen ein Basiliusbrot, in welchem sich einzelne Münzen befinden. Wer das Stück Brot mit einer Münze erwischt, dem bringt das neue Jahr Glück.
 
In England steht zu Neujahr ein Besuch bei Nachbarn an. Die mitgebrachten Kuchen werden dann mit Wein verzehrt.
 
In Schottland kommt der Schwarze Laib (Black Bun) auf den Tisch. Zusammen mit Freunden werden auch Haggis, das sind gefüllte Schafsmägen, verzehrt. Dazu wird reichlich Whisky getrunken. Die Schotten sind wirklich hartgesottene Burschen (oder Mädels).Dort stösst man nicht mit Sekt oder Champagner an, sondern mit Hot Pint, einem Punsch aus Starkbier, Whisky und Eiern. Das ist sicherlich nur für robuste Mägen gedacht.
 
In Italien isst man Soga, eine den Makkaroni ähnliche Art Teigwaren. Wer diese verspeist, der hat ein langes Leben vor sich. Italienische Männer kaufen ihren Frauen rote Unterwäsche, die sie in der Silvesternacht tragen. Schliesslich ist es die Nacht der Wünsche und guten Vorsätze, und da kann eine solche Wäsche nicht schaden.
 
In Russland werden Borschtsch und Kutya (Porridge-ähnliches Gericht aus Weizen- und anderen Getreidekörnern) verzehrt. Diese stehen für Hoffnung, während Honig und Mohn Erfolg bescheren sollen.
 
In Israel ist als Neujahrsspeise Süsses angesagt. Süsse Äpfel und Honig stehen für die Hoffnung, dass das neue Jahr süss werden möge.
 
In Spanien wird zu jedem Glockenschlag eine Weinbeere verzehrt. Beim 12. Schlag muss alles verputzt sein, will man nicht Unglück im neuen Jahr haben (Infos unter www.frankfurt-interaktiv.de).
 
Guter Rutsch
Oft bekomme ich Karten mit den guten Wünschen „Ein gutes Neues!“ oder „Wir wünschen Euch einen guten Rutsch ins neue Jahr“. Oder ein Nachbar ruft uns diesen Glückwunsch zu. Auch ich habe den Ausspruch schon des Öfteren benutzt.
 
Sie werden sich vielleicht wundern, woher der Ausspruch kommt. Er besagt nicht das gute Hinüberrutschen in ein neues Jahr, sondern dass man dieses gut anfangen sollte. Der Spruch beinhaltet laut Brockhaus (siehe unter „Silvester- und Neujahrsbräuche“ bei www.brockhaus.de ) das hebräische Wort „rosch“, das „Kopf“ oder „Anfang“ bedeutet und ist über das Jiddische „rojsch“ ins Deutsche gelangt.
 
Um Mitternacht wünscht man sich ein gutes neues Jahr. Beim Anstossen mit einem Glas Sekt oder Champagner ertönt oft „Prosit Neujahr“ oder „Prost“. Kaum einer macht sich Gedanken, woher dieser Ausdruck stammt. „Prosit“ ist ein lateinischer Ausdruck der frei übersetzt „Es möge gelingen“ bedeutet. Alle guten Wünsche bedeuten, dass das neue Jahr dem Menschen viel Glück bringen werde.
 
Allen Lesern und Leserinnen wünsche ich einen „guten Rutsch“ und ein glückliches, zufriedenes und gesundes neues Jahr.
 
Abschliessend noch das „Rezept für ein gutes neues Jahr“, das ich in dem Buch „Gutes aus Gottes Garten“ (Bäuerliche Küche rund um den Bussen; siehe das Blog über Landfrauen vom 25. 11. 2005) entdeckt habe. Dieses Rezept eignet sich hervorragend zum „Nachkochen“. Guten Appetit!
 
Rezept für ein gutes neues Jahr
Man nehme: 12 Monate, putze sie sauber von Bitterkeit, Geiz, Angst und Neid und zerlege jeden Monat in 30 oder 31 Teile, so dass der Vorrat genau für 1 Jahr reicht.
 
Es wird jeder Teil einzeln angerichtet:
Aus 1 Teil Arbeit und 2 Teilen Frohsinn und Humor.
Man füge 3 Esslöffel Optimismus hinzu,
1 Teelöffel Toleranz
1 Körnchen Ironie
1 Prise Takt und
1 Gramm Gottvertrauen.
Dann wird die Masse sehr reichlich mit Liebe übergossen.
 
Das fertige Gericht schmücke man mit einem Sträusslein
kleiner Aufmerksamkeiten und serviere es täglich mit Heiterkeit.
 
Dazu passt 1 Glas guter würziger Wein!
 
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