Textatelier
BLOG vom: 19.09.2005

Lehrstück: Die Milchbüchleinrechnung der Kirdis

Das Blogatelier darf sich über eine neue hervorragende, weltbewanderte Schriftstellerin freuen, eine Ergänzung der bisherigen Tagebuchschreiberinnen und -schreiber: Margrit Haller-Bernhard. Sie ist eine reife, welterfahrene, feinfühlige und stilsichere Publizistin, die einen ganz ausgeprägten Sinn für die Natur (und entsprechende Kenntnisse) sowie für menschliche Belange hat. Insbesondere ist sie eine hervorragende Afrika-Kennerin. Dieser Kontinent kam bisher im Blogatelier eindeutig zu kurz; manchmal springt erfreulicherweise Emil Baschnonga ein. Dieses Manko werden wir in gemeinsamer Anstrengung zu beheben suchen.

Margrit Haller-Bernhard arbeitete in den vergangenen 50 Jahren als freie Journalistin und Redaktorin beim einstigen „Gelben Heft“ und später beim „Drogistenstern“. Ab l980 war sie wieder als freie Journalistin tätig. Ihre bevorzugten Themen sind Natur und Naturheilkunde, Umwelt, mitmenschliche Beziehungen, Psychologie, soziale Probleme und Naturvölker, vor allem in Afrika. Neben ihrer Tätigkeit am Schreibtisch arbeitete sie freiwillig als „Conseil“ für die Kinderhilfsorganisation „Terre des hommes“ in Lausanne, bereiste teils in dieser Eigenschaft verschiedene Länder in Asien, Südamerika und einige Länder der Sahelzone. Als Reiseleiterin besuchte sie mit kleinen Gruppen auch ostafrikanische Länder, einerseits um die dortige Tierwelt mit Zelt, Kochtopf und auch zu Fuss zu beobachten, anderseits um Medizinmänner und Stämme kennen zu lernen. In den letzten Jahren führte sie individuelle Frauenreisen in Rumänien durch. Margrit Haller lebt in Rothrist, ist Mutter von 5 Kindern und freut sich an ihren 8 Grosskindern.

Wir schätzen uns ausserordentlich glücklich, dass sie an dieser Stelle nach Lust und Laune ihr Füllhorn ausbreitet und mit Aktualitäten verknüpft. Wir wünschen unseren Nutzerinnen und Nutzern viel Erbauung. Die bewährten und beliebten Autoren, die dem Blogatelier zu einer enormen Beachtung verholfen haben, bleiben uns zum Glück alle erhalten, so dass es sich beim Eintritt von Frau Haller ins Blogatelier um eine bereichernde Ergänzung handelt.

Das Blogatelier

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Autorin: Margrit Haller-Bernhard

Die vergangenen, internationalen Umweltkonferenzen haben (vorläufig) nicht viel mehr als Worte gebracht. Angesichts der drohenden Gefahren möchte man mit dem Direktor in Goethes „Faust“ sagen: „Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen.“ Aber Taten, vor allem mutige und unkonventionelle, bleiben aus, währenddem sich unsere gute alte Erde täglich ein wenig mehr weiteren Umweltkatastrophen entgegendreht.

Ich bilde mir nicht ein zu wissen, auf welche Weise der globalen Umweltverschmutzung beizukommen sei, aber mir scheint eine Lösung wäre einfacher zu finden, wenn die Politiker in Ost und West, anstatt unaufhörlich zu reden und zu konferieren, mehr nachdenken würden.

In früheren Zeiten standen den Völkern weise Männer zur Seite, Einsiedler wie etwa Niklaus von der Flüe, welche in Notzeiten um Rat gefragt wurden. An ihre Stelle sind heute die so genannten Experten getreten. Anhand von Computern und hochempfindlichen Messgeräten stellen sie Expertisen her über den Stand der Luftschadstoffe, über den Grad der Gewässerverschmutzung und über den Zustand des Waldes. Ihre Bedeutung ist nicht zu unterschätzen. So wissen wir wenigstens, wann wir im Sommersmog nicht mehr joggen sollten und an welchen Tagen die Kinder besser im Haus bleiben, anstatt im Freien zu spielen.

Ganz abgesehen von der Komplexität der Umweltprobleme gibt es auch für die Gesunderhaltung der Erde so etwas wie eine Milchbüchleinrechnung: Man darf vorhandene Ressourcen nicht übernutzen; Einnahmen und Ausgaben müssen übereinstimmen. Komischerweise bringen dies Naturvölker, die wir als primitiv bezeichnen, noch immer zustande. Das Wort „primitiv“ hat im ethnologischen Sinne übrigens die Bedeutung von mündlich überlieferter Kultur und nicht von unterentwickelten Völkern.

Doch zurück zu den Politikern und Drahtziehern der grossen Welt: Es würde nicht schaden, sie für einige Zeit zu den Kirdis in die Mandaraberge Nordkameruns zu schicken, um ihnen beizubringen, wie man die Welt wieder ins ökologische Gleichgewicht bringen könnte. Die dortigen Eingeborenen leben als Bergbauernstämme in Familiengruppen zusammen. Ihre Lebensgrundlage, die terrassierten Hirseäckerchen, bebauen sie mühsam von Hand. Sie sind Animisten, das heisst zu ihrer Religion gehört die Ahnen- und Geisterverehrung. Und diese Ahnen und Geister sind es, welche darauf achten, dass die Milchbüchleinrechnung aufgeht. Ihnen entgeht nicht, wenn der eine oder andere Kirdi sein Land schlecht bebaut, sich nicht um die Erhaltung der Äcker kümmert oder seine Frau zu viel Hirse für die Bierherstellung benützt.

Die Erde, so glauben die Kirdis, gehört gleichzeitig den Ungeborenen, den Lebenden und den Verstorbenen. Und da sich die künftigen Generationen noch nicht für die Erhaltung ihres einstigen Besitzes wehren können, übernehmen diese Funktion die Ahnen und die Geister. Auf diese Weise wird die Weiterexistenz der Kirdis gesichert. Missachtet ein Bauer dieses Gesetz, so ereilt ihn eine Strafe. Denn die Ahnen und die Geister lassen bei diesem wichtigen Thema nicht mit sich spassen.

Was den Kirdis heilig ist, scheint bei uns kein Thema zu sein. Das Schicksal unserer Nachkommen ist uns weltweit ziemlich egal. Sonst würden wir ganz anders auf die alarmierenden Zeichen einer Klimaveränderung reagieren. Dabei ist es natürlich bequem, die Schuld allein den Politikern – die wir übrigens selber wählen – zuzuschieben. Umweltschutz fängt bekanntlich bei sich selber an, genau wie auch jeder Kirdi selber dafür besorgt sein muss, die Lebensgesetze seines Stammes einzuhalten und damit die Verantwortung für seine Nachkommen zu übernehmen.

Weiteres Blog von Margrit Haller-Bernhard

13. 09. 2005: „Kerala: Hotels, die wissen, worauf es ankommt“

 

Hinweis auf Blogs zum Thema Afrika

06. 08. 2005: „Und sie sagten kein Wort ...: Beispiel Niger“

06. 07. 2005: „Londoner Pfefferschoten: Life-8, ,Make Poverty History’”

04. 04. 2005: “Der alte Handatlas, der mich nachdenklich macht”

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