Textatelier
BLOG vom: 05.08.2005

Zur Abwechslung einmal gute Worte über den Staub

Autor: Walter Hess

Soeben habe ich mit dem Hochdruckreiniger unsere 3 kleinen Brunnen und einige Steinböden im Aussenbereich von der Patina befreit. Diese grau-grüne Schicht ist nicht einfach ein Edelrost, wie man ihn auf Kupfer gern sieht, sondern eine Mischung aus pflanzlichem Material wie Moos und Feinstäuben, von denen auch wir auf dem Lande nicht mehr verschont sind.

Im Moment hat die Biosphäre viel zu ertragen: Ozonbelastung unten, Zerstörung der Ozonschicht oben, saurer Regen, Artenausrottungen und Neuverteilungen von Arten (Eingriffe ins ökologische Gefüge, die auch Irritierungen sind), Hormonverseuchungen, zunehmender Elektrosmog usf. Man weiss es. Selbstverständlich übersteigt das ganze Debakel das menschliche Fassungsvermögen. Es geht auch über das, was man zu ertragen mag, weit hinaus. Deshalb servieren die sich im Gleichschritt drehenden Medien die Probleme portionenweise, wenn sie Quoten versprechen. Im Moment sind gerade die Feinstäube an der Reihe, zweifellos ein gutes und begrüssenswertes Thema, weil es geeignet ist, unseren saloppen Umgang mit fossilen Brennstoffen nach dem Vorbild der USA und von Australien in Erinnerung zu rufen.

Das Buwal (schweizerisches Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft) hat den Begriff Feinstäube, die auch unter dem modernen Namen PM10 (tönt gut, modern!) daherkommen, freundlicherweise definiert: „Unter der Bezeichnung PM10 versteht man Partikel mit einem aerodynamischen Durchmesser kleiner gleich 10 Mikrometer. Staub ist ein physikalisch-chemisch komplexes Gemisch. Es besteht sowohl aus primär emittierten wie aus sekundär gebildeten Komponenten natürlichen und anthropogenen Ursprungs (z. B. Russ, geologisches Material, Abriebpartikel, biologisches Material) und ist in seiner Zusammensetzung sehr vielfältig (Schwermetalle, Sulfat, Nitrat, Ammonium, organischer Kohlenstoff, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Dioxine/Furane).“

Und diesen Giftcocktail müssen wir nun einmal einatmen, bis wir zu atmen aufhören (siehe das traurige Ende ganz am Schluss dieses Blogs). Man könnte ja bereits aus lauter Angst und Verdruss krank werden. Eine liebe Bekannte aus dem Bernbiet, die mein Buch „Kontrapunkte zur Einheitswelt"von A bis Z gelesen“ hat, merkte in ihrem begeisterten Schreiben an: „Vor allem etwas beschäftigt mich: Wie kann man(n) soviel negatives Wissen haben, die (zukünftige) Welt doch recht schlecht sehen und trotzdem einen so glücklichen Eindruck machen? Ich war bei jedem Kapitel mehr oder weniger niedergeschlagen und bemühe mich, die Dinge in den Hintergrund zu verdrängen. Machst du das auch so oder hast du ein besseres Rezept?“

Ich mailte zurück, das Schreiben als solches könne eine psychohygienische Tätigkeit sein: Wenn man die interessierte Öffentlichkeit auf verdrängte Abläufe und gravierende Missstände aufmerksam gemacht habe, fühle man sich hinterher schon etwas besser. Und zudem möchte ich Lösungen aufzeigen: umdenken, umhandeln, weg vom Drang und Zwang zur Vereinheitlichung, Wertschätzung des Individuellen, des eigenen Lebensraums. Im Vordergrund steht die Problemerkennung, aus der hoffentlich eine Lösung herauswächst. Gefühle der Verzweiflung helfen nicht weiter.

Zudem gibt es noch einen anderen, allgemein anwendbaren eleganten Trick, um den Verdruss zu umgehen: Man freue sich über alles, was geschieht, weil alles mindestens seine 2 Seiten hat. So haben einige Gesinnungsfreunde und ich uns über George W. Bushs Wiederwahl damals aufrichtig gefreut, weil es noch mehr politischen Unfug braucht, um den Menschen weltweit die Augen zu öffnen, was der nach US-Muster globalisierte Lebensstil für ein unsäglicher, verhängnisvoller Schwachsinn ist. Bush beschleunigt diesen notwendigen Vorgang des Erkennens sehr. Man kann sich, um ein anderes Beispiel zu nennen, über den Zustand dieser Zivilisationsgesellschaft köstlich amüsieren, wenn ein vergessenes Rucksäcklein zur Evakuation ganzer Flughäfen und zur Einstellung des Flugbetriebs führt ... das schlechte Gewissen ist ein schlechtes Ruhekissen. So wird dann wenigstens etwas weniger herumgeflogen. Das bringt Musse in die hektische Zeit, wie sie auch die Staugeilen in den stillstehenden Kolonnen geniessen. Und wenn ein paar Überschwemmungen die Landschaftsplanierer und Politiker lehren, dass man weniger in die Natur eingreifen sollte, darf man sich darüber ebenso wie über die liebenswerten Borkenkäfer freuen, die uniforme Försterplantagen kahl fressen und aufzeigen, dass Plantagenwälder nach Försterart mit dem besten Willen nicht funktionieren können.

Die Aufzählung mag von jeder Nutzerin und jedem Nutzer nach individuellem Empfinden fortgesetzt werden. Und aus dieser querulatorischen Stimmung heraus habe ich mich entschlossen, auch einmal etwas Gutes über den Staub zu sagen. So sei’s:

Lob auf das Steinmehl

Früher, als es noch weniger Auspuffe und Verbrennungsmotoren gab, verkehrten die raren Vehikel meistens auf Naturstrassen, die beim Gebrauch bei trockenem Wetter dichte Staubwolken entwickelten. Der Staub verteilte sich insbesondere über die Felder, und dieses Steinmehl war ein wichtiger Beitrag zur Pflanzengesundheit; es ist für sie, was Mineralstoffe und Spurenelemente für den Menschen sind. Selbstverständlich nehmen Pflanzen auch Mineralien aus dem Boden auf, und das Einstäuben mit Steinmehl wird im biologischen Landbau sogar als Massnahme gegen Blattläuse eingesetzt. Das ist zwar gegenüber den Blattläusen und den Marienkäfern unfreundlich; den letzteren zerstört man das Futter. Ein weiteres Exempel dafür, wie alles seine 2 Seiten hat. Heute gibts vor allem pulverisierten Asphalt- und Autopneuabrieb, die wahrscheinlich weniger gute Eigenschaften als der althergebrachte Strassenstaub haben.

Am letzten Samstag haben wir im Holzofen Brot gebacken, herrliches, schmackhaftes Holzofensauerteigbrot aus frisch gemahlenem Dinkel und etwas Roggen. Zum Aufheizen verbrannte ich nur naturbelassenes, gut gelagertes Buchen- und Eichenholz aus dem Forstbetrieb Aarau und einen trockenen Ast von einem Holunderbaum, der gratis angefallen war. Heute entfernte ich die Asche aus dem Backofen und streute sie über den Kompost. Ein Ostwind blies und verteilte vom Staub über den Gemüsegarten. Ich freute mich sehr, denn Asche hat eine ausgezeichnete Düngerwirkung (selbstverständlich bei zurückhaltender, massvoller Anwendung): Eine Art Staub von grossem Nutzwert.

Dem Staub haben wir leistungsfähige Maschinen und teure Säcke gewidmet: Die Staubsauger. Der Staub allein rechtfertigt ihre Existenz. Einen kleinen Teil des gierig eingezogenen Staubs stossen sie gleich wieder in die Räume aus, um auch später wieder etwas zu tun zu haben. An sich könnten wir auch den Inhalt des Staubsaugersacks auf den Kompost streuen und uns freuen, wenn sich ein Teil davon gleich im anliegenden Garten verteilt. Aber das wäre nur unter der Voraussetzung zweckmässig, dass wir im Haus konsequent organische Materialien verwenden würden. Sonst wird der Staub zum Sondermüll.

Was uns der Staub sagt

Der Staub, ob PM10 oder PM1, hat eine Botschaft, wie man sieht. Beim Einatmen der Feinstäube und beim Nachdenken über dieses Tun sollten wir die Verkündigung des Staubs zu ergründen suchen und alte Texte darnach durchforsten, wenn uns selber dazu zu wenig einfällt. Und plötzlich wird der Staub zum wichtigsten aller Dinge – zum Baustoff von uns Menschen sogar, dieser absoluten Krönung und unübertrefflichem Höhepunkt evolutionären Bemühens: Staub und Schatten seien wir, steht im „Oden“-Buch von Horaz. In der Bibel wird das zu 100 % bestätigt (etwa in Mos. 3, 9 und Proph. Joana 3, 5): „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und Staub wieder werden wirst.“ Und die Bibel hat doch wieder einmal Recht.

Somit wird das Sterben dann zum Abstauben, mit Verlaub gesagt. Das Leben in den Feinstaubwolken, das uns darauf vorzubereiten pflegt, bietet uns ununterbrochen mehr als genug Gelegenheiten, dieses Abstauben gründlich zu üben, sozusagen uns auf das letzte Abstauben vorzubereiten, bei variierenden Partikelgrössen. Und am seligen Ende kann man sich allerdings nicht einmal so richtig aus dem Staube machen, weil wir ja dazu geworden sein werden.

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